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Welche Geschichten sind eure Favoriten? (Abgabe mehrerer Stimmen möglich!!)

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Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

08.04.21 20:23
Edit 10.05.2021



Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Coollogo_com-214761942





Die Abstimmung geht wie immer 7 Tage bis zum 17.05.2021... etwa 20:10 Uhr




Hallo Bewohner*innen,

nächste Runde steht an! Ich mach es kurz und hoffe, das Thema gefällt euch.

Das Thema dieses Mal ist: Zeitreise
Die Interpretation des Themas ist wie immer völlig frei und alle, die möchten, können mitmachen.

Hier nun die wichtigsten Fakten:
Die Geschichte ist bis zum 
09.05.2021 23:59 Uhr einzureichen. 
Alle weiteren Regeln findet ihr hier:
https://anime.forumieren.de/t5871-aktuelles-regelwerk-kurzgeschichten-wettbewerbe

Bitte lest und beachtet diese vor der Abgabe.

May 9, 2021 23:59:59$https://media4.giphy.com/media/ienpDYR5qaBTG/source.gif$font-size:30px;text-shadow: 1px 1px black;


Zuletzt von Akeem am 10.05.21 20:12 bearbeitet; insgesamt 3-mal bearbeitet
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

10.05.21 20:06
Now or never -
Wenn nicht jetzt, wann dann?


Schon immer war Satoshi davon überzeugt, dass es eines Tages möglich sein könnte, durch die Zeit zu reisen. In die Zukunft, in die Vergangenheit, ein paar Monate, ein paar Jahrhunderte. Ganz egal. Eines Tages wäre es möglich. Und warum auch nicht? Die Technologie schreitet immer weiter voran. Der zukünftigen Entwicklung sind allenfalls moralische Grenzen gesetzt und selbst die ließen sich gegebenenfalls umgehen.
Dass er selbst allerdings, ohne das Zutun einer technischen Entwicklung, dazu im Stande sein würde, dass hätte er sich nicht einmal im Traum vorstellen können. Und doch war es jetzt so. Nun war er hier, 62 Jahre vor seiner eigenen Geburt und beobachtet wie sein Großvater Ichigo kurz davor war, um die Gunst seiner Großmutter Yumi zu werben. Allerdings waren die beiden Sechzehnjährigen vor ihm, die er von einigen alten Fotografien her kannte, noch weit davon entfernt, seine Großeltern zu werden. Und wenn er sich Ryu, den besten Freund seines Großvaters anschaute, der unweit der beiden Turteltauben stand und Yumi mit heißhungrigen Augen anstarrte, war es durchaus auch denkbar, dass nicht Ichigo sein Großvater wurde, sondern Ryu. Aber wäre Satoshi dann noch Satoshi?


Doch, wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass er jetzt hier ist?
Hierfür gehen wir ein wenig in der Zeit zurück oder nein, eigentlich vor.


Es war ein sonniger Tag in Okutama, einem Dorf im Landkreis Nishitama in der Präfektur Tokio. An diesem 16. Juni des Jahres 2020 stand Großes für Satoshi an. Er sollte heute seinen 20. Geburtstag feiern. All seine Freunde hatte er bereits vor über einer Woche eingeladen, mit ihm und seiner Familie zu feiern. Schließlich wurde man nur einmal volljährig und das sollte ordentlich gefeiert werden. Dazu hatte sich Satoshi von der Dorfschneiderin extra einen schicken Anzug anfertigen lassen, den er am Nachmittag abgeholt hatte und nun am frühen Abend trug. Alle waren bereits da, tranken, sangen, aßen und hatten Spaß. So wie es sich Satoshi gewünscht hatte. Nachdem alle ihre Glückwünsche übermittelt und man auf Satoshi angestoßen hatte, gesellten sich seine Großeltern Yumi und Ichigo zu ihm.
Yumi schaute sich ein wenig um und musterte ihren Enkel dann offen. „Sag 'Toshi, wann können wir denn endlich eine Frau an deiner Seite sehen?“, fragte sie schelmisch zwinkernd. „Weißt du, in deinem Alter, da waren dein Großvater und ich schon ewig verheiratet. Ich war gerade schwanger mit deinem Vater Hiroshi und dein Onkel Daisuke wartete sehnlichst auf die Ankunft seines kleinen Bruders.“
Auch sein Großvater war darauf erpicht, die Pläne seines Enkelsohnes zu hören, was dessen Zukunft in familiärer Sicht bereit hielt. „Richtig. So ist es. Welche der hübschen Dinger hier, soll denn diejenige sein? Vielleicht können wir ein wenig nachhelfen“, scherzte er und blickte sich etwas um. „Komm, sei nicht so schüchtern. Die Liebe wartet nicht. Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Yumi stieß ihrem Enkel leicht in die Seite und kicherte leise „Als ob er nicht auch schüchtern war, als wir uns kennenlernten.“
„Was? Gar nicht“, grummelte Großvater Ichigo gespielt. „Ich war nie“, sagte er erhobenen Zeigefingers „nie schüchtern.“
„Ja, ja, Großvater. Natürlich nicht“, bestätigte sie ihm und schmunzelte ihrem Enkel zu. „Sag Großvater, würdest du mir einen Gefallen tun und nach Ayumi sehen?“ Mit einem Kopfnicken stand er ohne Murren auf und machte sich auf den Weg die frisch Angetraute seines jüngsten Sprosses Kenji zu suchen. Diese war nämlich im 7. Monat schwanger und hatte sich vor einigen Momenten ein ruhiges Plätzchen gesucht, um sich ein wenig auszuruhen.


„Und doch war er schüchtern“, wandte sie sich wieder an Satoshi. „Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen. Ach, wie lange wir uns kannten. Und wie überrascht ich war, als er vor mir stand, in seinem viel zu großen Anzug, den er sich von seinem Bruder geliehen hatte. Die Ärmel und die Hosenbeine umgekrempelt, damit es halbwegs passte.“ Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, als sie begann in Erinnerungen zu schwelgen. „Und geschwitzt hat er. Als wäre er gerade aus den heißen Quellen gestiegen“, kicherte sie. „Aber der wunderschöne Strauß Sumire rückte sein nervöses Auftreten ganz in den Hintergrund. Du musst wissen, Veilchen sind meine liebsten Blumen. Und dein Großvater wusste das. Als er mir den Strauß entgegenstreckte, da stammelte er etwas von Ehre erweisen und ausgehen. Ich wusste sofort was er meinte, auch wenn ich nicht genau gehört hatte, was er gesagt hatte. Aber ich habe sofort ja gesagt. Wir waren damals beide 16 Jahre alt. Unsere Familien waren befreundet und unsere Eltern gaben uns ihren Segen, als dein Großvater kein Jahr später bei meinem Vater um meine Hand bat.“ Dann machte sie ein ovales silbernes Medaillon von ihrem Hals ab und öffnete es ganz vorsichtig. Darin fand sich eine kleine getrocknete Blüte eines Veilchens. Sie hielt es Satoshi sorgsam entgegen. „Ich habe eine von diesen Blumen immer bei mir.“ Sie schloss das Medaillon wieder, hängte es sich wieder um den Hals und kam schlagartig wieder in die Gegenwart zurück. „Nun? Wann werden wir denn eine Frau an deiner Seite finden? Ich möchte wenigstens ein Urenkel von dir sehen, bevor dein Großvater und ich für immer von euch gehen.“
Verlegen kratzte sich Satoshi am Hinterkopf. „Ach, Großmutter. Da habe ich doch sicher noch ganz viel Zeit“, murmelte er und versuchte irgendjemanden zu finden, der ihm aus dieser unangenehmen Situation heraus helfen könnte. Zufällig war der beste Freund seines Großvaters in der Nähe und forderte genau im rechten Moment seine Großmutter zum Tanzen auf.


Einige Stunden später hatten sich die Älteren und jene mit kleinen Kindern von der Feier verabschiedet, um den Jüngeren ein wenig Freiheit zu geben. Sie sollten sich ja schließlich richtig amüsieren können. Satoshi hatte noch kaum etwas getrunken, als ihm plötzlich schwindelig wurde. Kurzerhand ging er nach draußen, um frische Luft zu schnappen und dachte dabei über die Geschichte nach, die Yumi ihm erzählt hatte. Draußen angekommen, traute er seinen Augen nicht. Es war helllichter Tag. Wohin war die Nacht nur verschwunden. Die Straße waren ganz staubig. Und das Haus hinter ihm war einfach verschwunden. Stattdessen stand er mitten im Dorf und blickte geradewegs auf ein junges Pärchen, dass direkt vor ihm stand.


Womit wir dann auch schon am Anfang
dieser Erzählung angekommen sind.


Doch anhand der Geschichte, die Großmutter Yumi ihrem Enkel erzählt hatte, erkannte Satoshi, dass etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Nicht sein Großvater trug den viel zu großen Anzug, sondern dessen bester Freund Ryu. Und auch den Strauß Blumen hatte Ryu bei sich.
*Sind Großmutters Erinnerungen doch nicht mehr ganz so genau gewesen?*, grübelte er, während er zusah, wie Ryu steten Schrittes immer näher auf das Pärchen zu ging. *Er wird doch nicht...*
Doch er würde, nein, er tat es. In eben jenem Moment, tippte er Yumi auf die Schulter und kniete sich dann hin.“Würdest du mir die Ehre erweisen, liebste Yumi Nanakura und mit mir ausgehen?“, konnte Satoshi den falschen Mann die richtigen Worte sagen hören.
*Sag bloß nicht ja, Großmutter. Er ist nicht der Richtige*, schrie er in seinem Kopf und traute sich doch nicht es laut auszusprechen. *Wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass Großmutter eine ganz andere Geschichte erzählt hatte.* Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben und einen Moment lang glaubte er, dass sein Herz einen Schlag aussetzte, als die Sechzehnjährige Yumi dem anderen Mann ein „Ja“ zu hauchte. Mit weit aufgerissenen Augen sah er dabei zu, wie sein Großvater sich abwandte und mit hängenden Schultern davon schlurfte. Was war da gerade geschehen? War es vielleicht nur eine Illusion? Ein Tagtraum? Zu viel Alkohol? War er vielleicht gar nicht in der Vergangenheit? Hatte er sich das vielleicht nur eingebildet? Aber was war dann dieser stechende Schmerz in seiner Brust. Irgendetwas stimmte nicht. Er konnte es spüren. Hier war eben etwas gründlich schief gegangen.


Und während er weiterhin das Pärchen beobachtete, dass so gar nicht zusammen gehörte, das sah er es. Das schelmische Grinsen. Den überlegenen Blick, der von einem 'du bist zu spät'-Blick abgelöst wurde. Voller Entsetzen starrte er den Mann an, der ihm da auf ganz subtile Weise mitteilte, dass er mit nur einer kleinen Änderung in der Geschichte seine ganze Familie ausgelöscht hatte. Unglaubliche Wut überkam ihn. Er konnte es fühlen, wie sie ihm die Luft abdrückte und die Kehle zuschnürte. Wie sich alles in rotes Licht tauchte. Er wollte schreien, wollte wüten, ihn sich packen und windelweich schlagen. Doch sein Verstand sagte ihm, dass er es dadurch vermutlich nur noch schlimmer machte. Was also sollte er stattdessen tun? Noch weiter in der Zeit zurückgehen und Ryu davon abhalten? Aber er wusste ja nicht wie.


Sich mühsam beruhigen, blickte er seinem Großvater hinterher. Da war sie, die Lösung, nach der er suchte. Sein Großvater. Er musste etwas tun, um alles wieder in die richtige Bahn laufen zu lassen. Nur er konnte es. Und es musste schnell gehen. Also eilte er ihm hinterher, in der Hoffnung, dass ihm rasch etwas einfiel. Doch als er ihn eingeholt hatte, war ihm nichts in den Sinn gekommen.
„Willst du dir das einfach so gefallen lassen?“, fragte er unverhohlen, wobei er seinen Großvater am Arm packte und zu sich herum drehte. Tränen standen in den Augen des jungen Mannes, der da in der Zukunft sein Großvater sein sollte.
„Er hat mich reingelegt. Sagte, dass Yumi nichts für solchen Schnickschnack übrig hat. Ich hätte nicht auf ihn hören sollen. Ich kenne Yumi genauso lange wie er. Und doch hab ich auf ihn gehört“, stammelte Ichigo. „Aber ich bin viel zu schüchtern, als dass ich etwas einwenden hätte können. Sieh nur, meine Hände schwitzen immer noch so furchtbar.“
Verdutzt blickte Satoshi seinen Großvater an. Nicht nur, dass er wirklich schüchtern und dazu noch zart besaitet war, nein, er vertraute sich auch einfach so einem völlig Fremden an. Wie verletzt durch den Verrat der Freundschaft musste der Ärmste sein, um derart unbedacht zu agieren. „Hol sie dir zurück. Heute noch. Du darfst ihm das nicht durchgehen lassen“, schnaubte er ihn an.
Doch der jüngere Mann schüttelte mit dem Kopf. „Wenn es doch so einfach wäre.“
„Aber ja, genau so einfach ist es doch auch“, konterte Satoshi und zeigte auf das Pärchen, dass langsam weiterging. „Du musst nur mutig sein und sie von deinem Wert überzeugen. Er hat sich nur einen kleinen Vorteil verschafft. Zeig ihr, dass du auch ohne den Anzug und die Blumen geeignet bist, an ihrer Seite zu sein.“ Und um die ganze Rede abzurunden, fügte er noch hinzu, was Ichigo vor wenigen Stunden seinem Enkel gesagt hatte. „Komm, sei nicht so schüchtern. Die Liebe wartet nicht. Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Entschlossenheit flackerte in Ichigos Augen auf. Zuversicht und eiserner Willen trieben den Sechzehnjährigen an, geradewegs auf Yumi zuzugehen und sich zwischen sie und Ryu zu drängen. Hoch erhobenen Hauptes blickte er den Rivalen mit eisernem Blick an, wandte sich dann Yumi zu und setzte sein strahlendstes Lächeln auf. Da war er, der selbstsichere Ichigo, den Satoshi seinen Großvater nannte. Leider hörte Satoshi nicht was sein Großvater zu Yumi sagte, aber anhand ihrer Reaktion, war ihm klar, dass sie wohl nicht mit Ryu ausgehen würde. Wenige Sekunden später bemerkte Satoshi den beschämten Blick Ryus.


Keine Minute später fand Satoshi sich in seiner Zeit wieder, vor dem Haus, in dem seine Freunde noch immer seinen Geburtstag feierten. Verwirrt blickte er sich um und entdeckte Ryu in der Nähe.
„Wie hast du das gemacht?“, brüllte er dem Alten entgegen, während er eiligen Schrittes auf ihn zu ging.
Verlegen zog der den Kopf tief zwischen die Schultern und murmelte etwas unverständliches.
„Sprich gefälligst deutlich, alter Mann. Wenn du schon Mist baust, dann steh wenigstens dafür gerade“, fuhr der Zwanzigjährige den Alten an.
„Er hat alles. Ich wollte nur eines. Nur dieses eine. Doch nicht einmal das hab ich bekommen. Wieso nur warst du auch dort? Du hättest nicht dort sein sollen. So war das nicht geplant“, jammerte er und tippte mit dem Zeigefinger gegen Satoshis Brust.
„Neid? Du warst einfach nur neidisch? Wie hast du es geschafft, durch die Zeit zu reisen?“, wollte Satoshi unnachgiebig wissen.
„Neid. Von wegen. Rechtmäßig mir zustehend. Ich hätte es verdient“, beklagte der fast Achtzigjährige sich lautstark. „Was ich dafür auf mich genommen habe. Und letztendlich hast du es ruiniert. Das nächste Mal reise ich zum Tag deiner Zeugung und verhindere das. Du wirst schon sehen. Ich hole mir Yumi. Sie wird mein sein. Ich muss nur die Weichen stellen.“
Ob der Kälte des alten Mannes dem Leben anderer gegenüber, bekam Satoshi große Augen und eine furchtbare Gänsehaut. Kopfschüttelnd trat er zwei Schritte von ihm weg. Dann hörte er ein leises klingeln. Ein helles Glöckchen, dass immer näher kam. Ryu musste es auch hören, denn er blickte erstaunt an Satoshi vorbei. Wer oder was auch immer dieses Geräusch erzeugte, es näherte sich.


Ich nähere mich. Ein strahlendes kleines Licht, eines von vielen,
dass durch die Zeit saust und aufpasst, dass der Strom der Zeit
immer geradeaus fließt. Und wenn ich merke, dass jemand versucht
die Vergangenheit zu verändern, dann suche ich mir jemanden,
der mir hilft, alles wieder in die richtigen Bahnen zu leiten.


„Jemand hat dir die Macht gegeben durch die Zeit zu reisen, Ryu Takamura. Ich bin hier, um dir diese Macht wieder zu nehmen. Es ist nicht rechtens,
in der Vergangenheit, nach eigenem Gefallen, Änderungen vorzunehmen.
Schon eine winzige Kleinigkeit, kann großen Schaden anrichten.
Auch wenn du gestoppt wurdest, dein Plan vereitelt,
so hast du doch bereits etwas verändert. Es mag dir nicht wichtig
oder groß erscheinen und doch ist es eine Änderung,
die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Erwarte nun auch deine Strafe für dein selbstsüchtiges Verhalten.
Du wirst weiterhin nur zusehen, wie die, welche du liebst,
vor Glück nur so strahlt. Du wirst niemals von ihrer Seite weichen können
und wenn deine Zeit auf Erden abgelaufen ist, dann wirst du von mir
an ihr vergangenes Leben gehaftet. Dort sollst du auf ewig
an ihrer Seite verweilen, nur um sie glücklich zu sehen.“



Wie es mit Satoshi und den anderen
dieser Geschichte weitergegangen ist,
steht auf einem anderen Blatt

und ist Teil einer anderen größeren Geschichte.
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

10.05.21 20:07
Night of change

Stell dir vor, du würdest nichtsahnend in den Spiegel schauen und siehst dich. Aber nicht so, wie du jetzt bist, sondern so, wie du vor einigen Jahren als Kind warst.
Stell dir vor, wie es dich mit diesen traurigen Augen ansieht. Diese Augen, an welche du dich nur zu gut erinnern kannst.
Was würdest du tun?


Darf ich mich kurz vorstellen? Mein Name ist Hanna, mittlerweile bin ich 25 und dieses verrückte, unglaubliche Ereignis ist mir vor einigen Jahren passiert.
Es war genau an meinem 18. Geburtstag. Wie jedes Jahr fand dank meiner Mutter eine große und ausgefallene Party statt. Ihr zuliebe spielte ich bei diesen Dingen immer mit, weil es sie so glücklich machte, aber mich hat es eigentlich nur genervt.
Egal, darum geht es jetzt nicht.
Als die Gäste endlich alle gegangen waren, schleppte ich mich müde und erschöpft in mein Zimmer.
Ich bildete mir ein, etwas in meinem Spiegel zu sehen, nachdem ich mich ins Bett fallen ließ.
Beim genaueren Betrachten konnte ich jedoch nichts erkennen.
Vermutlich nur Einbildung, war immerhin ein langer Tag., dachte ich mir und schenkte dem keine weitere Aufmerksamkeit.
Es dauerte nicht lange und ich schlief endlich ein.


Irgendwann nachts, es war noch nicht einmal Mitternacht, hörte ich jemanden weinen.
In meinem Halbschlaf erschrak ich und setzte mich auf. Zuerst dachte ich, dass das meine Mutter sei, also stand ich auf um nach ihr zu sehen. Zu meiner Verwirrung schlief sie tief und fest, aber das Weinen war immer noch da. Träumte ich?
Wieder ging ich ins Zimmer, wo das Weinen hörbar lauter wurde.
Ich schaltete vorsichtig das Licht an, und das Schluchzen hörte abrupt auf. Mein Blick fiel auf meinen Spiegel und was ich da sah, ließ mich erstarren. Selbst das Atmen entwich mir für einige Sekunden.
Dort in dem Spiegel war ich. Das Spiegelbild reflektierte mich als Kind, gerade mal um die Elf Jahre.
Wir sahen uns gegenseitig verdutzt an. Niemand traute sich, etwas zu sagen. Oder besser gesagt, niemand verstand die Situation und wussten nicht, was gesagt werden sollte.
Nach gefühlt unendlichen Momenten machte ich den Anfang, da dieses Szenario gerade Wirklichkeit zu sein schien: ,,Wer... wer bist du?’’
Dämliche Frage. Ich wusste doch wer das war, das konnte ich doch erkennen. Aber was sollte man denn sonst in solch einer Situation fragen? Würde ich gleich mit der Tür ins Haus fallen, würde das kleine Ich mich gleich als Verrückt abstempeln.
Sie sah mich mit großen Augen an. Oder sah ich mich selbst mit großen Augen an? Ich weiß bis heute nicht, was genau passierte.
Das kleine Mädchen legte leicht den Kopf schief: ,,Hanna.. und wer bist du? Warum bist du in meinem Spiegel?''
Ihre Augen waren noch rot und leicht angeschwollen. Nur zu gut wusste ich, was ihr Kummer bereitete.
Kurz sah ich mich im Raum um: ,,Nein, ich bin ziemlich sicher, dass du in meinem Spiegel bist.’’
Diesen Satz auszusprechen fühlte sich extrem komisch an. Zum Glück war es nachts und keiner sonst war hier, sonst würde man ziemlich sicher denken, ich hätte irgendwelche Drogen genommen.
Sie tat es mir gleich und sah sich ebenfalls um: ,,Aber.. hier ist ziemlich sicher mein Zimmer, das sind doch alles meine Sachen. Hier, guck.’’
Das Mädchen hielt eine kleine, weiße Kuscheldecke vor meine Augen.
Dies bestätigte meine Vermutung noch mehr, genau dieselbe, die ich auch habe. Sogar dieselben Löcher und Flecken waren auf der Decke verstreut.
,,Die hab ich auch!’’, kündigte ich an, kramte meine heraus und zeigte sie ihr ebenfalls.
Während ich ihr meine Decke zeigte und dabei genauer in den Spiegel blickte, fiel mir auf, dass der Raum darin nicht meinen widerspiegelte. Was ging hier nur vor sich? Es sah genauso aus wie das, welches ich vor Jahren hatte als ich noch zu meinem Erzeuger musste. Es war das Zimmer, in welchem ich nächtelang hockte und wegen ihm weinte.
Wir redeten einige Zeit und versuchten herauszufinden, was genau geschah. Es fühlte sich real an, wirkte aber wie ein Traum. Auch die Zeit schien nicht weiter zu laufen. Um ehrlich zu sein schien die Welt stehengeblieben zu sein. Das musste einer dieser verrückten luziden Träume sein, welche sich so real anfühlten und die man selbst steuern konnte. Anders konnte ich es mir nicht erklären, und auch heute fällt mir keine passendere Erklärung ein.
,,... Du bist ich vor 7 Jahren.’’, stellte ich dann nach geraumer Zeit fest. Mir war das ja von Anfang an klar gewesen, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen.
Die Kleine sah mich ungläubig an: ,,Was? Aber.. das ist unmöglich.’’
,,Du heißt Hanna Wagner, hast am 16. Oktober Geburtstag, dein Vater heißt Simon und deine Mutter Angelika. Außerdem hast du einen kleinen Halbbruder von deinem Vater, er heißt Lukas. Richtig?’’
Ihre Augen wurden noch größer und man konnte ihr ansehen, dass sie nicht verstand, was ich gerade offenbarte.
Dennoch überwand sie sich zu einem kurzen Nicken: ,,Aber.. wie ist das möglich?''
,,Vermutlich träumen wir. Oder.. zumindest ich. Glaube ich..'', antwortete ich immer noch leicht verwirrt.
,,Wenn du ich bist, dann… ‘’, sie hielt kurz inne und überlegte, was sie am besten fragen sollte, ,,auch wenn das nur ein Traum ist, kannst du vielleicht trotzdem.. dann kannst du mir vielleicht trotzdem meine Zukunft verraten?''
Ein kleines Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Dasselbe hätte ich auch gefragt, die Kleine bin wirklich ich.
Obwohl das vermutlich jeder in dieser Situation fragen würde...
Nach einer kurzen Pause begann ich zu erzählen: ,,Hmm, wo soll ich nur anfangen? In Mathematik wirst du immer eine Niete bleiben.''
Die 11- Jährige kicherte: ,,Das hab ich mir schon gedacht.''
Auch ich musste kurz leise lachen ehe ich fortfuhr: ,,Oh, und mach ja nicht den Fehler, in der Oberstufe Latein als zweite Fremdsprache zu wählen! Das wird noch ätzender als Mathe werden.''
Ihre Augen strahlten Verwirrung aus: ,,Wieso um alles in der Welt sollte ich Latein wählen?''
Ich zuckte mit den Schultern: ,,Tja, ich weiß auch nicht, was ich mir dabei dachte...
Wie auch immer, du wirst vielen Leuten begegnen, diese aber auch wieder aus verschiedensten Gründen verlieren. Aber einer wird dir bleiben, dein bester Freund den du mit 13 kennenlernen wirst. Über einen YouTube- Kommentar.’’
Ein Kichern konnte ich mir nicht unterdrücken, und auch die Kleine musste lachen: ,,Was? Ein YouTube- Kommentar?’’
,,So ist es!’’, grinste ich.
In diesem Moment fing ich an zu überlegen, ob ich ihr vom Schlechten auch erzählen sollte.
Aber genau dann nahm sie mir die Entscheidung von selbst ab: ,,Und was ist mit.. du weißt schon wem?''
Natürlich wusste ich, von wem die Rede war. Plötzlich fühlte sich der Raum eiskalt an. Sogar ein leichter Schauer lief mir über den Rücken. Jeder Gedanke an die Person, die sich ,,mein Vater'' schimpfte, machte mich wütend.
,,Nun..'', fing ich zögernd an, ,,da wird noch viel auf dich zukommen. Aber nächstes Jahr wirst du das Eis brechen und alles erzählen. Und ab da an musst du nicht mehr zu ihm.''
Ich sah einen Funken Erleichterung in ihren Augen aufblitzen.
Wenn wir schon einmal über ihn redeten, beschloss ich, alles zu erzählen: ,,Es hört mit ihm aber nicht auf. Es wird dich weiter plagen. Und es werden weitere Dinge geschehen. Irgendwann wird es dir einfach zu viel. Du wachst auf und... du kannst nicht mehr. Du versuchst... es zu beenden. Aber es gelingt dir nicht, zum Glück. Zwei Menschen finden dich, und sie retten dich. Das wird so was wie dein Weckruf sein. Das war dann auch das letzte Mal, dass du es versucht hast..''
Plötzlich fühlte ich zwei kleine Hände welche mich umschlossen.
Was..?, dachte ich.
Bis ich begriff, dass die Kleine aus dem Spiegel sprang und mich umarmte, dauerte es einige Momente. Die Kleine schaffte es irgendwie, in ihren Spiegel zu gehen und in meine Welt zu kommen. Da ich auch heute nach wie vor der Meinung bin, dass das bloß ein verrückter Traum war, verwirrte mich das auch nicht sonderlich. Auch wenn meine Meinung zu dem auf wackligen Beinen steht..
Sie war aufgelöst und das Weinen war wieder zu hören. Fest umklammerte ich mein kleines Ich.
,,Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid…’’, wiederholte ich immer und immer wieder, ich schaffte es nicht, mich zusammen zu reisen und weinte ebenfalls. Auch meine Arme umarmten die Kleine.
,,Ich bin nur froh, dass der Horror mit ihm wohl endlich bald vorbei sein wird...'', flüsterte sie mit zitternder Stimme.
Diese Worte lösten irgendetwas in mir aus. Sie hatte recht. Es ist vorbei. Das ist es schon seit Jahren. Ich.. Ich habe überlebt und bin immer noch hier. Es ist.. Es ist wirklich vorbei..
Es fühlte sich an, als würde mein ganzes Leben noch einmal an mir vorbei ziehen. All die ganzen vergangenen Jahre der Trauer, des Schmerzes.. Alles verblasste. Es war, als würde sich all das endlich lösen und ich könnte von vorne beginnen. Endlich aufatmen.
,,Ich pass auf dich auf.. Du musst keine Angst mehr haben. Es wird alles besser... Versprochen!’’, hörte ich mich flüstern.
Ich strich durch ihre blonden Haare und wiederholte: ,,Ich pass auf dich auf, Kleines…’’
Ihr Körper löste sich leicht von meinem und sie sah mich mit einem traurigen Gesicht an, lächelte aber gleichzeitig. Sie war dabei, sich aufzulösen. Als würde sie einfach so unsichtbar werden, oder gar aufhören zu existieren.
,,Ich hab dich so lieb.’’, sagte ich und wollte noch nach ihrer Hand greifen, war aber schon zu spät. Mittlerweile war nur mehr ihr Gesicht zu sehen. Normalerweise wäre das ziemlich unheimlich, aber in diesem Moment war ich traurig. Traurig darüber, dass ich nur so wenig Zeit mit meinem Vergangenheits- Ich hatte. Es gab noch so viel, was ich ihr erzählen wollte. So viel, wovor ich sie warnen wollte.
Ihr süßes, kleines Lächeln wurde breiter und der traurige Ausdruck verschwand: ,,Danke..’’
Es war ein Moment, den man normalerweise nur von Filmen kannte.
Als ich sie nicht mehr spüren oder sehen konnte, sah ich fassungslos auf meine Hände. Tränen kugelten an meinen Wangen herab und ich brauchte lange, bis ich das Geschehene eben verarbeiten, geschweige denn begreifen konnte. Ein weiterer Blick in den Spiegel verriet mir, dass wieder alles so war wie immer.
Auch die Zeit schien weiterzulaufen, die Erde drehte sich als sei nichts passiert und die Magie, wie ich es nennen würde, war erloschen.
Was danach geschah weiß ich nicht mehr, aber als ich am nächsten Morgen aufwachte fand ich mich in meinem Bett wieder.
Eine einzige, letzte Träne rollte an meinem Auge hinab.
Müde rieb ich mir den Kopf. Mein Spiegel, in welchen ich blickte, erinnerte mich an letzte Nacht.
Noch immer konnte ich nicht verstehen, was passierte, und um ehrlich zu sein kann ich es bis heute nicht. Es fühlte sich nach wie vor an wie ein wundervoller Traum, wirkte aber noch immer so real.
Aber nicht nur das, auch ich fühlte mich verändert. So, als ob ich die Geister der Vergangenheit endlich loswerden konnte. Als ob das kleine, hilflose Kind in mir endlich geheilt werden konnte, so unglaublich und unmöglich es auch klingen mag.
War es ein Traum? Oder doch eine Art Zeitreise mit meinem inneren Kind?
Ich weiß es nicht. Aber seit jenem Tag geht es mir gut. Und ich meine, wirklich gut. Ich konnte seit jeher lachen und es auch so meinen, ich konnte endlich glücklich sein und dachte nicht mehr an vergangene Tage.

Es war… als hätte ich endlich Freundschaft mit mir selbst geschlossen.
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

10.05.21 20:07
Remembering you

Man weiß nie, wann einen die Vergangenheit einholt. Wann Erinnerungen aufkommen und einen wieder einnehmen, wie beim ersten Mal. Man spürt längst vergessene Emotionen, spürt Berührungen, die längst von der Haut verblasst sind. Das Gedächtnis hat eine seltsame Art zu funktionieren. Manchmal ist es ein Name, ein Geruch, ein Ort, der ausreicht, um einen wieder alles spüren zu lassen, sei es noch so tief hinten im Gehirn versteckt. Dann muss man wählen: Will man diese Erinnerung durchleben, sie genießen und von ihr zehren? Oder ist es ein Albtraum, der aus den Tiefen des inneren hervorbricht, nur um einen zu terrorisieren, ihn Bilder durchleben zu lassen, die er um alles in der Welt loswerden will? Hinter jedem Gesicht, egal ob fröhlich oder wütend, traurig oder deprimiert, verstecken sich solche Erinnerungen. Ich durchlebe etliche. Wenn sie dann noch mit der Arbeit verbunden sind, wird es kompliziert; Professionalität mischt sich mit Emotionalität und Gedanken trüben das Urteilsvermögen. Aber ich schweige, ich will nicht von dem Fall abgezogen werden, es ist meine letzte Begegnung mit ihm, mit einer Zeit meines Lebens, die ich nie vergessen werde…oder will. Wenn gute Erinnerungen weiß sind, und schlechte schwarz, dann ist diese weiß-grau. Nichts ist klar, nichts eindeutig oder schwarz-weiß. Ich ziehe meine Handschuhe über, der Tatort soll nicht kontaminiert werden, und sehe mich in dem edlen, holzvertäfelten Büro um. Zum Glück gehöre ich nicht zu denen, die die Leichen suchen müssen. Ich bin nur hier, um die Zeichen zu sehen, die Situation zu lesen. Ein Psychologe, dem die Arbeit in der Praxis zu langweilig war, der die Krisen der Menschen lieber verhinderte, statt sah und behandelte. Oder zumindest, rückverfolgte. So landete ich bei der Polizei.  Mir wurde oft gesagt, ich hätte außerordentliche Beobachtungsgabe und sähe Muster, die kein anderer sieht. Der Mensch ist oftmals nicht ein Mensch, wenn er vor mir steht. Er besteht aus Gesichtsmuskeln, die durch unterbewusste Bewegungen viel mehr preisgibt als der immer redende Mund. Er besteht aus Armen, die trotzig verschränkt werden können, Fingern und Beinen, die nervös tänzeln. Ich habe das oft gesehen; der Mensch ist lesbar. Fast immer. Ich fuhr mit den Fingern über das edle Holz des schweren, geschnitzten Schreibtisches, drehe mich um und mustere die Schrankwand dahinter. Seufzend lasse ich mich in den Schreibtischstuhl fallen, die Erinnerungen fangen an, mein sonst so von Logik gesteuertes Gehirn zu überfluten. Dort saß er oft, erledigte seine Arbeit, entschied über Fortbestand und Tod. Wie ein Richter, doch der Hammer war ein mit Gold überzogener Kugelschreiber, den ich nun gefunden habe, und von seinem Sockel nehme. „Was ist nur passiert mit dir? Wer hat dich überflügelt?“ Meine Stimme schwankt, ich beiße mir auf die Lippe und atme tief durch, ehe ich wieder mein neutrales Gesicht aufsetze. Resting Bitchface nannten es viele. Oder man deutete es als Arroganz. Marlon Cranford, der jedem seinen außerordentlich hohen IQ unter die Nase reiben will. Er sah, was hinter mir war. Hinter der Logik und dem Spott. Eine suchende Seele, ein ruheloser Geist. Er nahm sich dessen an. Und jetzt? Der Gedanke lässt mich nicht mehr los, ich spüre jene dunklen, durchdringenden Augen auf mir, die weichen Finger auf dem Arm und im Nacken. Ich sitze in jenem Büro, in dem ich jahrelang täglich war, in der Villa, die unser Zuhause war. Seufzend lege ich den Kopf zurück und achte drauf, dass keiner der Polizisten und Spurensicherer meine Wanderungen durch das Büro als Erinnerung deuten. Die edle Villa, Raum vieler Erinnerungen ist nun ein Tatort. Trümmer liegen auf den sonst so sauberen Marmorfliesen, manche Wände fehlen völlig, einige Räume sind eigestürzt. Was passiert ist, weiß so sicher noch keiner. Eine Bombe, ein Kampf, hieß es im Biefing. Keiner wunderte sich, in dieser Gegend gab es Gangs, Dealer und, hinter vorgehaltener Hand, sprach man von der Mafia. Ich weiß mehr, kenne die Geschichte des Hauses, der Gegend. Doch wie dieses Haus, ist auch die Beziehung, diese starke Bindung zu jenem faszinierenden Mann in Trümmern. Kurz zuckt mein Mundwinkel nach oben. „Ich untersuche wortwörtlich den Trümmerhaufen unserer Beziehung, das Schicksal hat schon etwas Böses an sich, es würde dir gefallen, nicht?“ Seine Präsenz ist noch immer in diesem Büro, egal, wie lange er weg ist. Tage? Wochen? Stunden? Er ist nicht tot. Dieser Kerl hat mehr Leben als eine Katze und deren Charme gleich doppelt. Der Don entscheidet über Leben, Tod und Geschäft. Und ich schloss die Augen vor den Waffen, die über den Tisch wanderten, den Pulvern und Substanzen. Auch vor dem Handel mit Menschen stoppte man nicht. Gut versteckt alles, hier in den weiten, verschlungenen Gängen der alten Villa. Meine Finger wandern über eine Schublade des massiven Regals hinter dem Tisch. Hier drinnen ist es. Mein Zeichen, dass ich nicht nur den Teufel liebte, sondern auch seine Markierung trug. Sollte ich? Die anderen suchen draußen Spuren, sie würden es nicht sehen... Mit etwas zittrigen Händen öffne ich die schwere Schublade. Es liegt noch da- mein Band, silbrig schimmernd, schwer und mit kleinen, eingestanzten Löwen. Schnell sehe ich mich um, noch immer war ich allein in diesem Zimmer, zumindest meine Kollegen sind nicht da. Er hatte mich nie verlassen. Wie auch? Was einen formt, vergisst man nie…. Hastig stecke ich das Halsband in meine Tasche und setze mich auf den Stuhl. Ich sollte das nicht tun. Warum nehme ich mit, was mich als seinen markiert? Ich lache bitter auf und schüttele den Kopf- es wird immer ein Teil von mir sein, was ich auch tu. Und ich erinnere mich an den Tag, an dem ich es bekam…
Ich knie auf dem Teppich, Kopf gesenkt, meine Augen ruhen auf schwarzen Schuhen. Glatt, poliert, vor mir. Was tu ich da? Ein Freigeist, frech, laut, nun doch stumm und gezähmt, kniend vor diesem Kerl. Warum? Diese faszinierende Energie. Er strahlt sie aus, ohne sich zu bemühen. Ich sehe kurz auf, will sein Gesicht sehen, die schönen, doch angsteinflößenden Augen. Ich habe nie gedacht, jemand zu lieben, erst recht nicht jemand, der so auf Regeln und Gehorsam meinerseits hofft. Doch ich merke. Dass es gut ist, sich ab und am fallen zu lassen, anderen die Führung zu überlassen… Ein drohendes Stupsen seiner Schuhspitze gegen meine Rippen reicht, und ich sehe schnell zu Boden. Schon klar, nur ansehen, wenn er es sagt. Ich grinse kurz. Erbsenzähler. Ich teste diese Regeln zu gern, ich kenn sie, das muss man, um sie zu brechen, oder? Er weiß es, kennt mich. Es ist ein kleiner Machtkampf. Einer, den ich im Notfall bereit bin, zu verlieren… Der einzige Kampf, den ich nicht gewinnen muss.
Sein Finger legt sich unter mein Kinn, drückt es hoch. Ich folge der Bewegung und sehe nun endlich auf, in diese dunklen Augen. Ich sehe so viel in ihnen. Liebe, Entschlossenheit vielleicht auch Ungeduld oder Belustigung.  „Mit dem Band bist du meins- Für immer. Traust du dich das? Trägst du es?“ Ich nicke scheu. Tu es, ich bin stolz drauf. Du hast mir oft genug bewiesen, dass du mich schützen kannst, der Erste, der mich verteidigt und mir beisteht- Ruhe in das Chaos bringt. Ich trage es zu gern…
Das Metall schloss sich an diesem Tag um meinen Hals und verließ diesen nicht für 3 Jahre. Ich trug es voller Stolz. Doch jede noch so schöne Zeit findet ein Ende. Die rosa Brille schwindet, der Schleier schwindet. Ich konnte die Augen nicht schließen. Jeder ist, was er ist und aus sich macht. War ich zu blauäugig? Er war Don, erledigte, was ein Don tat und ich konnte nicht wegsehen, die guten Taten für mich erschienen kühl und bizarr, je mehr Tote ich sah, die Angst kam auf und der Streit wurde immer schlimmer. Ich war verschwunden, nach einem Streit einfach verwunden, das Band, mein ehemaliger Stolz, offen vor seinen Füßen ein abruptes, doch sicheres Ende. Was mit einer kleinen Welle beginnt, erste Unsicherheiten, kann eine riesige Welle aus Wut, Angst und Zweifel werden. Verlassen hat mich diese Zeit doch nie, und jetzt… jetzt holt sie mich ein und die Welle der Gefühle schwappt über mich. Warum hat er das Band aufgehoben? Ich kralle meine Finger in die Tasche meines Mantels, es eng umschließend. Genug. Ich ertrinke hier noch. Mit schnellen Schritten verlasse ich das Büro und renne fast schon raus, an die frische, kalte Luft, die meine heißen Wangen kühlt. Alles verschwommen durch erste Tränen, brennend und heiß. Doch ich will nicht, bin zu stur. Nein. Das werde ich nicht! Wütend schüttele ich den Kopf und lächle einem Kollegen zu, der nach Untersuchung des Gartens, zu mir kommt. Bloß nichts anmerken lassen… Ich drücke ihm meine Notizen in die Hand. „Er ist weg, das Haus fast zerstört. Doch es ist nicht vorbei, jemand wie er geht nie…“  Vielleicht sind diese Worte nicht nur an diesen unwissenden Polizisten. Nein, es ist ein Versprechen. An mich, an ihn. Ich weiß es, er weiß es. Auch, wenn das Kapitel zu Ende ist, die Seite wurde nicht umgeblättert.
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

10.05.21 20:08
Ich glaube ab dem nächsten Wettbewerb wird es strengere Format-Vorgaben geben müssen. Leider kann das Forum nicht alles und vieles geht durch das mehrfache Kopieren einfach verloren. Ich entschuldige mich bei allen Teilnehmern dafür, dass ihre Formatierung es nicht ganz ins Forum geschafft hat...
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

18.05.21 10:54
Ihr habt abgestimmt und die Gewinner stehen fest!

1. Now or never - Wenn nicht jetzt, wann dann? von @Max5913 mit 4 Stimmen
2. Night of change von @Luxio mit 2 Stimmen
3. Remembering you von @Shadow mit einer Stimme


Vielen Dank an alle Teilnehmer und Glückwunsch an die Gewinner.
Die Reviews folgen bald und auch die Abzeichen sollten im Laufe der nächsten Woche eingepflegt werden.

Der nächste Wettbewerb folgt bald. Ihr könnt hier gerne noch die Abgaben diskutieren oder euch über ein neues Thema Gedanken machen. 
Mein erster Vorschlag wäre "12 Stunden zuvor".
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

18.05.21 20:54
Review zu ,,Now or never - Wenn nicht jetzt wann dann’’


Die Idee der Kurzgeschichte ,,Now or never - Wenn nicht jetzt wann dann’’ ist an sich gut und hat damit auch das Thema des diesmaligen Wettbewerbs perfekt getroffen.
Kurz zusammengefasst geht es um den jungen Satoshi, welcher durch Zufall einige Jahre vor seiner Geburt in die Zeit zurück reist und so beobachten konnte, wie der beste Freund seines Großvaters Ryu versucht, um seine Großmutter zu werben.
Die Geschichte endete dann damit, dass Ryu keinen Erfolg hatte und als sie wieder in der Zeit zurück reisten, erschien auf einmal ein kleines Licht.
Es ist eine gut geschriebene Geschichte mit einem interessanten Ansatz. Auch die vielen Dialoge schmücken das Ganze mit Humor und Witz, wobei das Ganze so oder so humorvoll geschrieben wurde, was ich ganz amüsant fand.
Die Charaktere haben einen guten Ansatz, wobei etwas zu viele Charaktere vorgestellt wurden. Ein klassisches Merkmal der Kurzgeschichte ist die geringe Anzahl von Charakteren. Wenns zu viele sind, kennt man sich irgendwann nicht mehr aus wer wer ist, zudem hat man in einer Kurzgeschichte nicht viel Spielraum die Charaktere näher zu beschreiben, da die Geschichte an sich im Vordergrund stehen sollte. Ich hatte auch Probleme die Handlungen der Charaktere nach zu vollziehen und zu verstehen. Hier muss ich aber anmerken, dass das lediglich meine Gefühle dazu sind, ein anderer weiß vielleicht genau, warum sich die Charaktere so verhalten wie sie es nun einmal tun.
Damit wären wir auch schon bei Ryu.
Ryu, der vermeintliche Antagonist, ist wohl der interessanteste Charakter, welcher viele - leider unbeantwortete Fragen - hinterlässt, wie zum Beispiel; Wie schaffte er es in der Zeit zurück zu reisen? Warum machte er das erst Jahre später? Und warum nahm er versehentlich auch Satoshi mit?
Und die für mich wichtigste Frage: Was ist dieses Licht, woher und warum kam es?
Diese ganzen Fragen geben genug Stoff für eine Fortsetzung, wenn man denn eine schreiben wollen würde. Für einen Einteiler als Ende jedoch finde ich das nicht ganz so gut, da man nach dem Lesen eher enttäuscht ist weil man die Fragen wohl nie beantwortet bekommt. Klar kann man sich selbst was dazu ausdenken, jedoch würde man die Antworten schon gern vom Autor/der Autorin bekommen.
Gegen Ende der Geschichte ging generell alles viel zu hastig von Dannen. Man hätte viel mehr die Gefühle der Hauptcharaktere einbauen können, das Ambiente näher beschreiben, mehr Leben einhauchen. Wie schon gesagt, das ist nur die Meinung eines Einzelnen. Viele andere sehen das bestimmt anders als ich.

Zum Abschluss lässt sich zusammenfassen, dass die Grundidee, das Skelett, sehr gut ist, die Ausführung aber noch ein wenig Spielraum für Verbesserungen hat. Es wäre schön gewesen, mehr über die Charaktere und das Warum & Wie zu erfahren.
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

18.05.21 20:54
Review zu "Night of change"


Wenn Geschichten besprochen werden, dann sind viele vermeintliche Reviews nur Nacherzählungen der eigentlichen Handlung einer Geschichte. Das kommt nicht von ungefähr, denn das was in einer Geschichte passiert, ist natürlich das offensichtlichste und es bleibt den Leser*innen natürlich am besten im Gedächtnis. Gerade in TV Serien überschlagen sich oft die Ereignisse und auf einem Plot Twist folgt der nächste, da ist es nur natürlich sich bei einer Besprechung zuerst mit dieser Handlungsebene (Ich nenne sie gerne kurz ‘Story’) zu beschäftigen.
Gute Reviews jedoch behandeln mehr als nur die Story, sondern auch, was uns diese Story mitteilen will. Am einfachsten zu erkennen ist das sicher in alten Märchen oder noch besser in Adoptionen dieser Märchen, an deren Ende noch jemand die Moral der Geschichte erklärt, damit sie auch jeder Leser versteht. Die Moral beschreibt dabei das Thema, das in der Geschichte besprochen wird. Quasi der springende Punkt. Das was die Autor*innen uns mit ihren Erzählungen sagen wollen. Das ist das, was wir in der Schule analysieren sollten. Was will uns der*die Autor*in damit nur sagen?
Nicht jede Geschichte muss jedoch mit einer Moralpredigt enden oder gar irgendeine Art von Moral besprechen. Aber in jeder Geschichte geht es um etwas. Ein zentraler Aspekt, der vielleicht die Geschichte ins Rollen bringt oder Entscheidungen, die Charaktere treffen, die etwas aussagen über diese Art Mensch und über die Konsequenzen, die das für Andere hat. Was genau eine Geschichte bespricht, ist völlig unterschiedlich und ebenso wie viel der*die Autor*in Wert darauf legt, es in den Vordergrund zu spielen. Aber jede Geschichte behandelt irgendwo ein Thema.
In unseren Wettbewerben ist das Thema der meisten Geschichten oft einfach das Thema das Wettbewerbs. In diesem Fall ist es die Zeitreise. Aber in ‘Night of Change’ wurde es nur als Plot-Element verwendet, um ein anderes Thema zu behandeln: Sich selbst zu verzeihen.
Die Protagonistin Hanna hat eine harte Kindheit hinter sich. Es ist schwer sich vorzustellen, wie sehr sie unter den Misshandlungen ihres Vaters gelitten haben muss, aber es ist für mich eindeutig, dass sie sich selbst auch einen Teil der Schuld gegeben hat. Als sie sich selbst im Spiegel sieht, ist sie jedoch weiser als sie es als Kind war. Die Zeitreise als Gespräch mit sich selbst wird zur Selbsttherapie. 
Auf dem Story-Level passiert nicht mehr, als zwei Versionen derselben Person, die miteinander reden. Hin und wieder werden wir von der Erzählerin über Details informiert, welche in der Vergangenheit passiert sind. Wir als Leser*innen nehmen nicht aktiv an dieser Zeitreise teil und es stellt sich auch relativ schnell für uns heraus, dass es keine richtige Reise durch die Zeit sein kann, schließlich müsste ein Gespräch mit sich selbst zu diesem Zeitpunkt wohl die Zukunft verändern und die Hanna der Gegenwart müsste sich auch an das Gespräch erinnern können, hätte sie es selbst als 11 Jährige schon mit sich gehabt. Es gibt zwar noch andere Möglichkeiten, den Zeitreise-Aspekt zu interpretieren, jedoch ist das überhaupt nicht von Relevanz in dieser Geschichte. Natürlich, auf Story-Ebene wären dies Routen gewesen, denen die Autorin hätte folgen können, aber die Geschichte ist gar nicht interessiert an diesen High-Concept Science Fiction Plotpoints, sondern mehr an ihrer Protagonistin und dem Thema der Geschichte.
Hanna erzählt ihrer jüngeren Version von ihrer Zukunft und nach ein kleines bisschen Zögern, entscheidet sie sich sogar dafür, ihr die ungeschönte Version zu schildern. Dies scheint auf Story-Ebene vielleicht auf dem ersten Blick kein wichtiger Moment zu sein, betrachtet man die Geschichte jedoch unter dem Aspekt des Themas, wird es enorm wichtig. Hanna beschließt in diesem Moment sich ihrer Vergangenheit zu stellen und es nicht mehr zu verdrängen, wie sie es mit 11 Jahren noch teilweise getan hat. Sie versichert ihrem jüngeren Ich, dass sie keine Schuld hat und dass sie das Richtige tun wird bzw. getan hat. Die beiden Hannas greifen dann durch den Spiegel und umarmen sich, während die jüngere Version sich aufgrund ihrer Ehrlichkeit bei der Älteren bedankt. Hanna verzeiht sich selbst und darum geht es in der Geschichte. Eine Person, die Opfer unfassbaren Leids geworden ist, schafft es sich selbst von dieser Vergangenheit zu lösen, ohne sie zu leugnen. Sie akzeptiert ihr jüngeres Ich, so wie es nun einmal war und das jüngere Ich bedankt sich dafür.

Danach wird geschildert, wie Hannas Leben verlief und wie sie anfing sich wieder selbst zu mögen. Ich finde diese Reise, die Hanna durchgemacht hat, wird uns sehr bedeutsam durch starke Bilder erzählt. Hier zeigt sich, wieso es sinnvoll sein kann, auf ein paar Story-Plotpoints und große Twists zu verzichten, wenn das Thema der Geschichte so viel wichtiger ist, als jede kleinste Frage bezüglich der Mechaniken von Zeitreise zu besprechen. Die Geschichte ist konzentriert und sicher in ihrem Thema, erzählt es stringent bis zum Ende und lässt die Leser*innen mit einem zufriedenstellenden Ende und einer schönen Message zurück.
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

18.05.21 20:56
Review zu "Remembering you"

Okay. Ich glaube ich muss hier mit dem Elefanten im Raum anfangen und das ist auch direkt ein sehr schwieriges Thema: Sich an die Vergangenheit erinnern? Ist das denn überhaupt eine Zeitreise?
Wir hatten das früher schon öfter. Ich musste mir schon einige Male anhören, wir würden unsere eigenen Regeln nicht einhalten und wären zu weich, wenn es darum geht zu bewerten, ob eine Geschichte das Wettbewerbsthema überhaupt behandelt. Ich bleibe da jedoch bei meiner Meinung, dass alle Teilnehmer das Thema so frei behandeln dürfen, wie sie wollen, solange ich mir den Zusammenhang zu dem Thema irgendwie zusammenreimen kann. Ich weiß, das ist nicht das, was einige von euch erwarten und wir können gerne auch darüber noch extra diskutieren, ich finde es jedoch nicht sinnvoll dort super streng zu sein, vor allem weil Definitionen von Themen dann vorher ganz streng vorher gemacht werden müssten. Ich fände diese Einschränkung nicht förderlich für die Kreativität, sondern schränkt zu sehr ein.
Wenn wir nun diese Geschichte hier beurteilen müssen, dann ist “durch ein Haus zu laufen und sich an die Vergangenheit zu erinnern” natürlich schon recht grenzwertig, aber ich finde es noch in Ordnung. Er wandert von Raum zu Raum und durchläuft eine emotionale Zeitreise durch seine Vergangenheit mit diesem Mafia Boss. Das werde ich hier gelten lassen, wenn gleich mir bewusst ist, dass einige von euch mir da widersprechen werden.


Gut. Nun da wir das aus dem Weg geräumt haben, kommen wir zum Inhaltlichen. Die Geschichte erzählt von einem Polizisten (Psychologe), der zu einem Tatort gerufen wird. Dort realisiert er, dass es sich um das Haus seines Ex-Freundes handelt, der ein Mafia-Boss war. Auf dem Story Level geht es um die Nacherzählung der Beziehung der beiden Verliebten durch Erinnerungen des Protagonisten, die durch den Tatort ausgelöst werden. Gleichzeitig versucht er die Spuren dieser Beziehung vom Tatort zu bereinigen (er nimmt das Halsband mit), um nicht selbst in Verdacht zu geraten.
Der Kriminalfall bildet bei der Geschichte nur die Rahmenhandlung, steht aber nicht im Fokus. Als Leser haben wir uns gewünscht, dass hier etwas mehr aufgeklärt wird, sind uns aber bewusst, dass die Autorin den Fokus bewusst auf die Beziehung der beiden Verliebten gesetzt hatte. Und das ist auch in Ordnung, denn die Beziehung der beiden ist durchaus interessant. Der Protagonist verfällt dem Mafia-Boss und sie haben für einige Jahre eine gute Beziehung/Affäre, so scheint es zumindest. Im Laufe der Zeit muss der Protagonist sich jedoch eingestehen, dass der Mafiaboss kein guter Mensch ist. Schließlich ist er für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich. Die Beziehung endet dann im Streit, weil der Protagonist das toxische Verhalten des Partners nicht mehr länger tolerieren will. Trotzdem scheint er nie ganz über die Beziehung hinweg zu kommen. Selbst nach seinem Tod (er ist doch tot, oder?), trauert der Protagonist um die Beziehung und verlässt unter Tränen den Tatort.
Das ist auch das große Thema der Geschichte: Nicht über eine toxische Beziehung hinweg kommen. Zumindest wäre das meine Interpretation. Insbesondere wird das für mich in der Diskrepanz zwischen Vergangenheit (Erinnerungen) und Gegenwart deutlich. Die Vergangenheit wird beinahe ausschließlich positiv dargestellt und selbst als es zum großen Streit kommt, wirkt die Erinnerung etwas verklärend, während die Gegenwart die Realität bezüglich der Beziehung darstellt: Sie liegt in Trümmern. Neben dem starken Bild, zeigt es uns auch die Konsequenzen, welche auf den Protagonisten gewartet hätten, wenn er sich nicht aus dieser Beziehung hätte befreien können: Auch er wäre dort nicht lebend herausgekommen. Dass der Mafia Boss in der Gegenwart überhaupt nicht physisch zugegen ist, finde ich sehr bezeichnend. Dennoch trauert der Protagonist, denn er erinnert sich fast nur an das Gute. Eine große Falle, in die viele tappen, bei solchen toxischen Beziehungen und die Geschichte zeigt uns gut, wie schwer es ist, aus diesem Strudel zu entkommen, selbst wenn dein Ex-Freund in die Luft gejagt wurde.


Die Geschichte ist auf Story- und Theme-Level sehr stark. Der Krimi-Aspekt macht Hunger auf mehr und die darunter liegende Schilderung einer toxischen Beziehung ist spannend und gelungen. All diese Inhaltsstoffe beflügeln den Lesespaß, was ihn jedoch etwas hindert, ist wie die Geschichte erzählt wird. 
Ich kann die Lust nach Mystery durchaus nachvollziehen. Schließlich bin ich auch derjenige, der immer dafür plädiert, so viel Mystery in eine Geschichte einzubauen, wie geht. Aber es ist ein schmaler Grat zwischen Mystery und Verwirrung beim Leser. Die erste Verwirrung für mich war bereits, wer überhaupt genau der Protagonist ist. Es ist nicht unüblich, den Protagonisten in einer Ich-Erzählung namenlos zu lassen. Die Art und Weise, wie der Erzähler hier jedoch eingeführt wird, verwirrt mich etwas mehr, als dass es mir klar den Charakter vorstellt. Informationen häppchenweise zu präsentieren, ist eine sehr gute Praxis, es darf jedoch nicht zu Lasten der Klarheit gehen. Ich muss noch verstehen, wer genau gerade spricht und wer genau gerade im Raum ist und wer genau nun Marlon Cranford ist. Ich habe diese Passage nun mehrfach gelesen und von verschiedenen Personen lesen lassen und niemand konnte mir genau sagen, ob es nun der Protagonist ist oder der Mafia-Boss oder einfach nur eine zufällige andere Person. Es liegt dann daran, dass hier die Formulierungen vielleicht etwas zu kompliziert sind, aber vielleicht liegt das Problem aber auch darin, zu viel Mystery einbauen zu wollen, anstatt den Figuren einfach klare Namen zu geben. Für mich hat es den Lesefluss auf jeden Fall gestört und der Anfang verliert so stark für mich, obwohl mir die Geschichte hinten raus sehr gut gefällt und ich gerne noch mehr davon gelesen hätte und mehr über die Charaktere und den Kriminalfall erfahren hätte.

Wie gesagt: Ich weiß es ist schwer. Es ist ein schmaler Grat zwischen Mystery und Verwirrung. Ich kann hier nur empfehlen die Geschichte einigen Beta-Lesern vorzulegen und sie um Feedback zu bitten. Frag sie nicht nur, wie gut sie die Geschichte finden, sondern bitte sie darum, dass sie dir eine knappe Nacherzählung der Geschichte anfertigen. Auch wenn für dich als Autor*in es völlig klar ist, was dort steht, heißt das nicht, dass es auch die Leser direkt verstehen, die nur Gäste in deiner fiktiven Welt sind.
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

21.05.21 11:09
Wie findet ihr die Idee für das Thema "12 Stunden zuvor".
Sicher kennt ihr das aus Filmen oder Serien, wenn die Geschichte mittendrin anfängt und eine Situation geschildert wird und dann kommt meist ein Cliffhanger und es heißt dann "12 Stunden zuvor", wo dann erklärt wird, wie es zu dieser Situation gekommen ist.
Ich fände das ganz lustig. Was meint ihr?
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

21.05.21 11:14
Mir würde die Idee sehr gut gefallen!
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

21.05.21 11:33
Als Anmerkung zu meiner Geschichte: für mich galt es als Zeitreise,weil er in dem Raum in der Zeit zurückgeworfen wird. Daher. Vielleicht war das einigen zu frei interpretiert, dann tuts mir leid, :) ich finde, dass Erinnerungen und Räume wie eine Reise sein können. Danke für die Review ausserdem :)
Marlon ist das ich der Ermittler. Ich bin froh um die Anmerkung, ich werde wohl beta Leser suchen
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

22.05.21 12:50
Herzlichen Glückwunsch an euch! Ich habe alle drei Geschichten gern gelesen und habe in jeder auch das Thema wieder gefunden, bei jedem (interessanterweise) auf eine andere Art und Weise.

Das Thema "12 Stunden zuvor" ist auf jeden Fall eine interessante Idee, mir selber aber glaube ich zu herausfordernd.
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

02.06.21 15:51
Bisschen Zeit ging nun ins Land.
Das Thema kam ja ganz OK an, aber es ist vielleicht etwas zu schwer. Im Discord kam noch die Idee "Lüge". Was findet ihr besser? Gerne auch paar andere Themen noch vorschlagen. Ich mach dann eben eine kurze Umfrage oder so.
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Zeitreise

10.06.21 11:02
Habe mal eine kleine Umfrage erstellt. Die läuft nun bis zum Wochenende. Dann geht's los!
https://www.strawpoll.me/45380337
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