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Welche Geschichten ist eure Favorit?

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Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

13.06.21 1:11
Edit: 14.07.2021


Abgaben:



Abstimmung läuft 4 Tage ab jetzt und sollte Montag Mittag etwa 13:40 zu Ende sein.

Hallo Bewohner*innen,

nächste Runde steht an! Ihr habt gewählt und los geht's!

Das Thema dieses Mal ist: Lüge
Die Interpretation des Themas ist wie immer völlig frei und alle, die möchten, können mitmachen.

Hier nun die wichtigsten Fakten:

Die Geschichte ist bis zum 11.07.2021 23:59 Uhr einzureichen. 
Alle weiteren Regeln findet ihr hier:
https://anime.forumieren.de/t5871-aktuelles-regelwerk-kurzgeschichten-wettbewerbe

Bitte lest und beachtet diese vor der Abgabe.

Jul 11, 2021 23:59:59$https://64.media.tumblr.com/22b2fccacf9d02edb86ee17a128f6958/tumblr_mn6fzmQoOP1qbvovho1_500.gifv$font-size:30px;text-shadow: 1px 1px black;


Zuletzt von Akeem am 14.07.21 13:45 bearbeitet; insgesamt 3-mal bearbeitet
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

14.07.21 13:34
The Hidden Truth

*Video startet*
Es war dunkel und still. Naja, fast zumindest musste ich mir eingestehen. Über mir erschien ab und zu der Vollmond, wenn die Wolken es zuließen und irgendwo in nicht allzu weiter Ferne hörte ich auch leises Wasserplätschern von irgendwo unter mir. Ja genau unter mir! Das lag wohl daran, dass ich mich gerade an einem Abhang befand, irgendwo im Nirgendwo und unter mir ein breiter Fluss seines Weges floss. Welcher Fluss das war? Kann ich nicht sagen, ich war noch nie gut in Erdkunde gewesen und meine Orientierung war auch noch nie das Beste gewesen. Ich war einfach in mein Auto gestiegen und losgefahren, bis ich diesen Ort von weitem gesehen hatte. Das Auto hatte ich einfach am Straßenrand an einem Busch geparkt und war hier hochgekraxelt.

Nun saß ich hier und ließ meine Beine den Felsen runter baumeln. Wieso ich nun hier saß, allein in der Dunkelheit wie so ein Irrer in der Nacht? Tja... Das fragte ich mich auch und wenn ich ehrlich bin, konnte ich das selbst so genau nicht beantworten. Oder konnte ich das eigentlich doch und belog mich nur selbst? Wahrheit und Lüge. Zwei Wörter, die nicht unterschiedlicher sein könnten – sollte man zumindest meinen – jedoch war ich mir da nicht mehr so sicher. In letzter Zeit war in meinen Augen die Grenze zwischen diesen beiden Begriffen doch nicht mehr so klar, wie ich einst gedacht hatte. In einer Lüge kann auch ein Stück Wahrheit stecken, jedoch kann genauso gut die Wahrheit auch zum Teil verdreht einfach doch nur eine Lüge sein. Bin ich ein Lügner? Oder sind alle anderen nur Lügner? Was war die Wahrheit? Diese Fragen schwirrten mir schon seit längerer Zeit im Kopf umher und eine Antwort hatte ich nicht gefunden, dass zumindest, redete ich mir jeden Tag aufs Neue ein. Aber um das zu verstehen, sollte ich wohl am Anfang anfangen.


Ich hatte mich bis dato immer selbst als groß und stark angesehen, ja klar meine Schulzeit war alles andere als leicht, aber ich bin immer mit allem klargekommen. Freunde die doch keine Freunde waren. Liebe die doch keine Liebe war. Mobbing Attacken. Ich hatte die Bingo Karte des Lebens eindeutig schon 3-mal voll gestempelt. Ich hatte mich durch all diese Sch**** zwar nicht komplett unterkriegen lassen, aber Narben blieben Narben, egal wie ach so groß die Verletzung gewesen ist. Das war aber jetzt auch schon wieder ein paar Jährchen her und ich zu meinem Teil habe bis zu einem gewissen Punkt in meinem Leben gedacht, dass mich das Alles doch irgendwo stärker gemacht hat. Klaro Vertrauensprobleme waren eindeutig vorhanden und ließen sich auch nicht einfach wegzaubern, aber für mich persönlich war es immer das wichtigste für meine Menschen da zu sein. Ich konnte zwar selbst nur selten ehrlich mit jemandem über meine Probleme reden, jedoch war ich sofort für alle anderen immer da. Da waren wir auch wieder bei der Zweiseitigkeit von Ehrlichkeit – Predigen wie wichtig es ist über Probleme zu reden, aber selber nichts erzählen und einfach schweigen – so war das mit der eigenen Ehrlichkeit. Schon etwas scheinheilig, oder? Vielleicht sollte man doch mal öfters in den Spiegel schauen und sich an die eigenen Ratschläge halten. Doch der Zeitpunkt war vorbei, oder auch nie gekommen. Denn was ich in all der Zeit festgestellt habe ist Folgendes: Lügen sind wie ein Parasit. Hat man einmal damit angefangen, verbreitet er sich immer weiter im Körper und im Leben. Meist auch einfach unbemerkt, getarnt als Wahrheit. Man merkt es meist erst dann, wenn es schon zu spät war.

Und so ein Parasit oder nennen wir es jetzt doch bei seinem Richtigen Namen, eine Lüge, hatte mich genau zu diesem Moment gebracht. Schon so oft hatte ich Freunden und Bekanntschaften in der Not beigestanden und Phrasen wie „Lass den Scheiß.“, „Tu dir nichts an“ oder „Das ist doch auch keine Lösung.“ Geäußert, aber ich war im Grunde niemals besser gewesen. Mit dem Unterschied, dass ich nie ein Wort mit irgendwem über mich gewechselt habe, stattdessen war ich lieber mit dem kalten Schmerz im Einklang gegangen, wenn es irgendwann gar nicht mehr ging und es mir besser gehen sollte. Das war Lüge Nummer Eins, die tief in mir saß. Die zweite Lüge lies nicht lange auf sich warten: Die Liebe. Oft wurde ich betrogen und weggeworfen, weshalb ich mir schwor, niemals selbst die Liebe zu belügen. Auch das hatte ich nicht geschafft. Von außen betrachtet sieht es zwar aus wie eine inzwischen glückliche Beziehung, aber auch hier war es mehr Schein als Sein. Auch hier redete ich mit keinem drüber, war aber selber der größte bei Beziehungsratschlägen. Oft liege ich allein im Bett und lasse wie jetzt auch die Gedanken schweifen. Mit dem Ergebnis, dass ich mir bei nichts mehr sicher war. Sind diese Gefühle echt? Wie schaut die Zukunft aus? Willst du das denn überhaupt so?

Mein Hintern wurde langsam echt kalt, daher stand ich auf und machte ein paar Schritte auf der Stelle. Ich schaute wieder den Abhang runter und merkte noch einmal, wie tief es eigentlich hier runter ging. Was mache ich hier? Neben mir lag ein großer Stein auf dem Boden, den ich aufhob, einmal in der Hand zum Hüpfen brachte und dann mit viel Schwung Richtung Wasser unter mir warf.

Ich folgte der Flugbahn des Steines im kühlen Mondlicht und wartete auf das Platschen des Steins. Es dauert ganz schön lange bis der Stein auf dem Wasser aufprallte und im dunklen Nass versank. Da wurde mir bewusst was mich hier hingeführt hatte. Lüge Nummer Drei: Das Leben hat immer einen Sinn. Auch das hatte ich schon oft zu anderen gesagt, wie ironisch es doch alles war. Ich hatte mich selber immer als der Tollste Freund gesehen, immer für alle da, immer einen Ratschlag parat. Oft hatte ich andere davon abgehalten sich selbst zu verletzen. Ich schaute auf den Verband um meinen Arm und lächelte. Oft hatte ich sowas gesagt wie: „Bring dich nicht um!“, auch hier musste ich lächeln und schaute wieder runter in den Abgrund. Fragen wie: „Wie geht es dir?“ wurden von mir sofort mit einem gut oder Alles Supi, abgefertigt. Mit anderen über mein Inneres reden, ein absolutes No Go.

Nach all diesen Gedanken hörte ich es schon fast real in mir zerbrechen. Als wäre ich der Stein gewesen, der auf dem Wasser aufprallte, zerbrach mein von Lügen beschattetes Selbstbild in mir und mir wurde auf einmal was bewusst: Ich war eine einzige Lüge. Die Lüge „Mir geht es gut.“, hatte sich Jahr für Jahr um mich gespannt ohne, dass ich es gemerkt hatte. Ich, der Lügen verabscheute, war selbst zur größten Lüge geworden nur um sich nicht mit sich selber zu beschäftigen.

Ich musste nun laut Lachen. Nachdem es Klick gemacht hatte, wurde mir im gleichen Moment auch bewusst, dass es zu spät war für mich. Ab einem gewissen Punkt im Leben, wenn die Lüge einen komplett einnimmt, gibt es kein Zurück mehr.. Oder doch? Ich denke es gibt viele wie mich: Menschen, die sich selbst belügen und zur Lüge selbst werden nur damit es anderen gut geht. Lügen sind niemals gut. Vor allem nicht, wenn man sich selbst belügt, denn damit belügt man auch die, denen man doch am Herzen liegt. Ehrlichkeit zu anderen ist wichtig, aber die Ehrlichkeit zu einem selbst: Das ist das Wichtigste!

Lügen sind wie Gift. Und egal wie klein sie auch sein mögen – unter Lügen wird immer einer leiden, wenn nicht andere dann Du. Diese Erkenntnis traf mich nur leider etwas zu spät im Leben. Wenn ich nochmal von vorne anfangen dürfte, würde mein einziger Ratschlag wie folgt lauten: Sei ehrlich zu dir und deinen Menschen. Mach nicht den Fehler und werde gar nicht erst zu deiner eigenen Lüge! Das Leben ist hart, aber ganz allein kann man nicht alles stemmen. Lügen bringen nur noch größeren Schmerz als jede noch so größte Wahrheit.


Ich bin eine Lüge – Mach es besser und werde niemals zu einer Lüge.. *PLATSCH*
*Video endet in endloser Dunkelheit*
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

14.07.21 13:36
De Hory


Neben dem strengen Geruch von Rum und Schweiß, den tiefen Stimmen singender Seemänner und ihrem ausgelassenem Gelächter, gibt es vor allem Geschichten in den schäbigen Spelunken dieser Welt zu hören. Jeder Seemann, egal wie erfolgreich in seinem entsprechenden Arbeitsfeld, ob nun einfacher Matrose oder General bei der Marine, egal ob sie ehrlich ihren Lebensunterhalt verdienten oder gar sich selbst Pirat nannten: Sie alle zog es in die Gaststätten, sie alle zog es an den Thresen, an das wärmende Feuer und den erheiternden Krug, um von ihren Abenteuern auf hoher See zu berichten. Und was einem als alter Seemann alles schon auf dem Meer widerfahren war, reichte meist um eine ganze Bibliothek zu füllen. Gerade die alten Männer mit ihren weißen Rauschebärten, den Augenklappen und den verstümmelten Fingern, wussten die besten Geschichten zu erzählen, wenn man sie durch ihre löchrigen, gelben Zähne denn noch verstehen konnte. Meistens fingen ihre Geschichten mit etwas einfachem an, wie einem tollpatschigen Kameraden oder ein gefährliches Unwetter, aber nicht wenige endeten dann mit einem versunkenen Schatz, einem Seeungeheuer oder einer bildhübschen Meerjungfrau.
Entsprachen sie alle der Wahrheit? Sicherlich nicht.  Aber was machte es schon? Jede gute Geschichte war überdramatisiert und so wurde halt aus dem lauen Lüftchen ein Jahrhundertsturm und aus einer kleinen Krabbe ein riesiger Seedrache. Es schadet ja niemandem.
Oder?
Wer mag das schon bewerten?


Aber wenn ich so drüber nachdenke, dann kommt mir direkt die Geschichte von Clifford de Hory in den Sinn. Vielleicht habt ihr schon von ihm gehört. Er war einer der größten Unternehmer in der Seefahrt in diesem schönen Teil der Welt. Seine Flotte suchte seinesgleichen. Sicher habt ihr davon gehört, oder?
Nein?
Umso besser!
Lasst mich von ihm erzählen!
Jedoch lässt sich De Horys Geschichte nur erzählen, wenn man auch die Geschichte eines anderen Seemanns kennt. Lasst mich bei ihm anfangen. Zunächst also die Geschichte eines armen Mannes namens Emil.
Zu De Hory kommen wir später.


Emil kam mit nichts weiter als der Kleidung an seinem Körper, drei Münzen in seinem Geldbeutel und einem halben Laib Brot in dieser Stadt an. Er hatte einen langen Fußmarsch hinter sich, weder Pferd noch Zug konnte er sich leisten. Emil musste schnell erwachsen werden. Sein Vater fiel im Krieg, doch zu Trauer hatte er kaum Zeit, denn wenig später musste er selbst an der Front um sein Überleben kämpfen. Nur mit einer gehörigen Portion Glück entkam er dort dem Tod. Er verdankte es seinem Kameraden Don, der für ihn sein Leben ließ, damit er es nach Hause schaffen konnte.
Eigentlich war das Leid, das Emil bereits als junger Heranwachsender erfahren hatte, genug um ein ganzes Leben zu füllen. Das Schicksal meint es aber gerade mit diesen armen Seelen oftmals nicht sehr gut. 
Als Emil zurückkehrte, stand er vor den Trümmern seines Elternhauses. Seine kleine Schwester war verstorben, seine Mutter verschollen. Mit viel Mühe und Glück hatte Emil gerade so das Erwachsenenalter erreicht und schon war er komplett alleine in dieser Welt.
Er besuchte daraufhin die Witwe des Mannes, der ihm ermöglicht hatte, es zurück nach Hause zu schaffen. Dons Frau hatte trug den Namen Dianne. Er wollte ihr so viel sagen, wollte sich für so viel bedanken, aber unter ihren Tränen war kein Platz mehr für ihn. Emil hinterließ einen großteils seines Soldes zusammen mit einem Brief, bevor er für immer aus ihrem Leben verschwand. Emil wusste, dass es nicht genug Geld für das Leben eines Mannes wie Don war, aber trotzdem musste er etwas geben, auch wenn es nur eine Geste war.
Die nächsten Jahre, so völlig ohne familiären und finanziellen Halt, zog Emil durch das Land und arbeitete in verschiedenen Städten als Tagelöhner. Dabei blieb Emil immer ehrlich. Nie bettelte er oder gar stahl, um seinen Hunger zu stillen. Und Hunger war allgegenwärtig. Emil war ein aufrechter Mann gewesen. Vielleicht war das auch sein größter Fehler, denn wann immer ein Mann Ehre besaß gab es andere Männer, die dies auszunutzen verstanden. 
Was mich zu Clifford de Hory bringt. 
De Hory war ein Geschäftsmann und unterhielt ein Schifffahrtsunternehmen in derselben Stadt, in der Emil schließlich zur Ruhe kam, um als Matrose anzuheuern.  Zunächst arbeitete Emil nicht direkt für De Hory, obwohl ab einem bestimmten Zeitpunkt im Grunde jeder Seemann, der ein legales Geschäft in dieser Stadt unterhielt, irgendwie für De Hory arbeitete.
Jeder kannte die Aufstiegsgeschichte von De Hory. Er selbst hatte sie unzählige Male in diversen Gasthäusern zum Besten gegeben. Von dort wurde seine Geschichte weiter und weiter getragen und erreichte schließlich neben dem armen Emil, schließlich auch mich selbst. Und ich kann euch sagen: De Horys Geschichte hat mich in frühen Jahren sehr beeinflusst und selbst im Alter, mit ein bisschen mehr Weisheit, konnte ich einiges von De Horys Geschichte lernen.
De Hory war als Waisenkind aufgewachsen. Seine Mutter starb wohl bei seiner Geburt oder kurz darauf. Sein Vater, so erzählte man sich, war ein Trinker und nicht einmal in der Lage sich die Schuhe alleine zubinden. Wie sollte er auf ein Baby acht geben können und es gar großziehen? De Hory erzählte stets viele Anekdoten aus seiner Kindheit, zu viele um sie jetzt hier alle zu rezitieren, also lasst mich nur eine nehmen und um zu erläutern, was für ein Teufelskerl De Hory schon in seinen Kindheitstagen gewesen sein soll. 
Das erste Jahre war es im Grunde ein Wunder, dass De Hory überhaupt überlebt hatte. Das schrieb er neben seinem unglaublichen Willen zu leben, vor allem aber den lieben Nachbarskindern zu. 
Sie schlichen gegen Abend in die kleine, heruntergekommene Wohnung, nachdem sie De Hory über Stunden zuvor schreien gehört hatten. Sein Vater schlief entweder zu diesem Zeitpunkt mal wieder seinen Rausch aus oder war gerade im Wirtshaus, um sein weniges Geld auf den Kopf zu hauen. Er gab an, wie er sich noch genau daran erinnerte, wie die Kinder mit ihren großen Augen über seinem Körbchen standen und ihn immer wieder mit Milch und Wasser und Brot fütterten.
De Hory war nach seiner eigenen Auffassung nicht vielen Menschen in seinem Leben etwas schuldig geblieben. Aber diese Kinder haben ihm sein Leben gerettet.
So überlebte De Hory sein erstes Jahr knapp und hielt seinen Vater aus, solange bis er sich selbst das Laufen beibrachte. Ja, so jung für ein menschliches Kind, aber so wie De Hory erzählte, hatte er genug von seinem Vater. Als dieser mal wieder bewusstlos war, nachdem er mehrere Flaschen Rum in wenigen Minuten getrunken hatte, stand De Hory einfach aus seinem Körbchen auf und kletterte hinunter auf den Holzfußboden. Er erinnerte sich noch immer genau an das letzte Bild, das er sah, bevor er die Tür öffnete und seinen Vater für immer zurückließ. Nie würde er das Gesicht seines bewusstlosen Vaters vergessen, auch wenn er von diesem Tage an behauptete, ein Waise zu sein.
Ein Säugling, der einfach so aufsteht und los in die weite Welt geht, um dann einer der reichsten Männer der Seefahrt zu werden, klang schon unglaublich. Später, als De Hory etwas älter war, gab er auch zu, dass er eventuell etwas übertrieben hätte und er als Kind nicht den gesamten Weg bis zum Waisenhaus, in dem er bis zu seinem zwölften Lebensjahr lebte, zu Fuß gelaufen war. Er war eher gekrabbelt.
Nach seinem zwölften Geburtstag verließ De Hory das Waisenhaus und schlug sich fortan als Tagelöhner durch. Er tat alles, was man ihm auftrug. Als Jungspund bestanden seine Aufgaben jedoch meist aus einfachen Botengängen. Dort lernte er auch seinen Meister kennen. Ein älterer Herr, der eine Reederei besaß und De Horys Dienste in Anspruch nahm, um seinen Briefverkehr in der gesamten Stadt und den anliegenden Dörfern zu beschleunigen. Er war zu alt, um überall alleine hinzugehen und De Hory wirkte wie ein vertrauenswürdiger junger Mann, auch wenn er sich erst beweisen musste.
Davon sprach De Hory im Übrigen oft. “Ich musste mich beweisen”. Was genau er dafür getan hatte, erläuterte er nie im Detail. Aber er verlangte stets von allen anderen auch, dass sie sich “bei ihm beweisen”. Vertrauen könne nur durch harte Arbeit geschaffen werden und harte Arbeit zahlte sich aus. De Hory selbst war der lebende Beweis dafür.
Um den Briefverkehr effizienter zu machen, brachte sich De Hory selbst das Lesen und Schreiben bei. Er erstellte den ersten vernünftigen Stadtplan, in dem alle kleinen Gassen eingezeichnet und die schnellsten Routen markiert waren. Von der Reederei, bis zur Stadtmauer konnte De Hory so innerhalb einer Stunde Briefe hin und her verschicken. Eine unglaubliche Effizienzsteigerung. 
Schnell waren andere an De Horys Diensten interessiert und bald transportierte er Briefe und übermittelte Nachrichten durch die gesamte Stadt. Es kam schnell dazu, dass er alleine die Arbeit nicht mehr verrichten konnte. Er ging zurück zum Waisenhaus und stellte ein paar seiner alten Mitbewohner als Mitarbeiter ein. Die De Hory Unternehmung war geboren, da war De Hory selbst gerade einmal fünfzehn Jahre alt.
Mit achtzehn erweiterte er sein Unternehmen um eine eigene Kutsche, um schneller die Briefe in den nächsten Ort zu bringen. Aus einem Ort wurden zwei und aus einer Kutsche wurden schnell drei und vier. Schnell arbeiteten fast zwanzig Mann für De Hory. Das war auch der Zeitpunkt, als er den Namen seines Vaters ablegte und den Namen De Hory erfand. Er klang elegant und bildete mehr ab, wer er wirklich war. Schließlich konnte er nicht weiter von seinem Nichtsnutz Vater entfernt sein. Er war allein durch seine harte Arbeit und seinen Willen so weit gekommen und wäre er als Säugling nicht aufgestanden und gegangen, hätte sein Vater ihm bereits damals seinen Aufstieg zerstört. Nein. Sein Vater verdiente nicht denselben Namen zu tragen wie er und genauso verdiente er nicht denselben Namen zu tragen, wie sein Vater.
Aus Briefen wurden in den nächsten Jahren Waren und aus dem Postbetrieb wurde eine Handelsroute. Als sein alter Meister starb, hatte De Hory genug Geld, um die Reederei zu übernehmen. Aus Pferden wurden Schiffe und der Reichtum De Horys stieg und stieg und stieg. Sein Imperium hatte er immer weiter ausgebaut, jeder vertraute ihm und seinen Ideen. Egal, wie absurd sie klangen und wie sicher sie zum Scheitern verurteilt waren. De Hory kam aus dem Nichts und hatte sich alles erarbeitet. Das wusste jeder. Er hatte den richtigen Riecher und wer ihm folgte, der würde selbst zu Reichtum kommen, so hatte De Hory es immer selbst gesagt. Das war sein Versprechen: Wer hart arbeitet, kann es schaffen.
Und auch Emil glaubte es. Der arme, arme Emil glaubte De Hory jedes Wort. Er klebte an seinen Lippen. Von Gasthaus zu Gasthaus ging Emil Abend für Abend, um sich die inspirierenden Geschichten über Clifford De Hory zu lauschen und schließlich sogar aus seinem eigenen Munde zu hören. Und schließlich heuerte Emil bei De Hory an. Und Emil arbeitete hart. Morgens bis Abends. Tag für Tag. Emil machte niemals Pause und versuchte alles, um es genauso zu schaffen, wie De Hory. Wie konnte er auch nicht? Ihre Geschichten waren doch so ähnlich. De Hory war ein Waise und so war es Emil. Sie hatten beide alles verloren und beide arbeiteten hart, um etwas in dieser Welt zu erreichen. Wenn er nur hart genug arbeitete, dann würde er seinen Frieden finden und im Erfolg glücklich werden. Er könnte sich dann vergeben, für ein Leben, dass sonst nichts lebenswert gemacht hätte. Ein Leben, für das sich sein Kamerad Don geopfert hatte. Dieses Leben musste gekrönt werden. Das Schicksal war ihm dieser Erfolg schuldig. Er musste nur hart genug für De Hory arbeiten, dann würde er ihn erreichen.
Emil starb im Alter von 36. Er hatte fast sieben Jahre ohne Pause für De Hory geschuftet. Der Lohn war knapp, obwohl er unglaubliche Arbeit für De Hory leistete. Nachdem sein Schiff wieder in den Hafen eingelaufen hatte und Emil ganze drei Tage nicht geschlafen hatte, fiel er auf seinem Posten in Ohnmacht und verstarb noch an Ort und Stelle. Der Arzt vermutete, dass er neben zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf, auch nicht gut genug gegessen hatte. Emil war so dünn, wie seine Kollegen, die alle wohl schon lange nur Notrationen von ihrem Chef bekommen hatten.
Der arme Emil hatte den Fehler gemacht zu glauben, er wäre so wie De Hory. Aber dabei unterschied sie eine ganz große Sache: Ehre.
Ihr mögt es euch vielleicht schon gedacht haben und für die wenigsten kommt es nun als Überraschung, aber De Horys Geschichte war nichts weiter als eine ehrlose Lüge. Seemannsgarn. Nicht mehr. In Wahrheit hatte De Hory zwei liebende Elternteile gehabt, die noch bis ins hohe Alter finanziell unterstützt hatten. Die Reederei hatte sein Urgroßvater gegründet und war schon seit einem Jahrhundert im Familienbesitz. Als sein Vater starb, erbte De Hory sein gesamtes Vermögen. Es war nicht die Verfehlungen des ehrlosen Vaters, die ihn dazu bewegten, seinen Namen zu ändern, sondern viel mehr De Horys Fehlinvestitionen, die den Namen seines Urgroßvaters verbrannte. Niemand wollte mehr mit ihm Geschäfte machen, aber wer das nötige Geld hatte, konnte einfach seinen Namen ändern und weiter machen.
Emil wusste bis zu seinem Tode nichts von dem. Er starb mit der Gewissheit, sein Leben vergeudet zu haben, schließlich hatte er wohl nicht hart genug gearbeitet und war deswegen nicht erfolgreich geworden. Die Tragik dabei ist natürlich, dass die Vergeudung seines Lebens nicht in der zu wenig harten Arbeit, sondern im genauen Gegenteil lag. Der arme, arme Emil hatte nie einen Tag in seinem Leben für sich selbst gelebt, sondern immer nur für andere. Für seinen Vater, für sein Land, für Don, für zahlreiche temporäre Arbeitgeber und schließlich für einen Scharlatan. Für den Unternehmer Clifford De Hory.


Nun da ich die Geschichte von Emil erzählt habe, muss ich meine Aussage vom Anfang wohl etwas revidieren. Seemannsgarn und Lügengeschichten können durchaus jemandem schaden, wenn sie falsche Versprechen erwecken. Emil verlor alles, nur weil De Hory nicht anders konnte, als seine Lüge weiter zu verbreiten und sie zu seinem Vorteil zu nutzen. 
Kein schöner Ausgang, ich weiß. Aber manchmal ist es wichtig solch eine Geschichte zu hören. Ihr mögt nun sicher denken, die Welt sei ungerecht und das Schicksal gegen euch. Vermutlich liegt ihr dort auch nicht ganz falsch, aber es muss nicht immer so sein.
Den Abend sollten wir auf einer positiven Note enden lassen. Ihr habt es euch verdient. Ihr habt solange hier ausgeharrt und meinen Worten gelauscht, da verdient ihr euch einen guten Ausgang der Geschichte.
Und so unglaublich, wie es klingt, den gibt es: Denn da wo De Horys Geschichte aufhört, da beginnt meine eigene. Nicht immer war ich dieser alte Mann, der ich jetzt bin. Selbst so jemand wie ich war einmal jung. Auch wenn das jetzt ebenfalls unglaublich klingt.


Das erste Mal hörte ich De Horys Geschichte, da war ich gerade Anfang 20. Ähnlich wie Emil, war ich ein einfacher Matrose in dieser Stadt, aber anders als er, wusste ich genau, wo mein Platz in dieser Welt war: An der Theke von jenem Gasthaus, in dem wir uns gerade befinden. Seht ihr den Platz dort hinten? Ganz am anderen Ende der Theke. Da habe ich die meiste Zeit meiner Jugend verbracht. Den Krug in der Hand und ein Shanty auf den Lippen. (Und ab und zu eine junge Dame in meinen Armen.)
Es dauerte nicht lange, bis ich die Geschichte das erste Mal zu hören bekam. De Horys Unternehmung war aber zu diesem Zeitpunkt schon lange Geschichte gewesen. So erzählte man sich, dass etwa zehn Jahre zuvor, der alte Clifford De Hory plötzlich wahnsinnig geworden sei. Er hätte angefangen sein Geld sinnlos zu verprassen. Er hätte Plunder gekauft, nur um ihn für weniger als eine Woche zu behalten und dann einfach auf die Straße zu werfen. Nichts stellte ihn zufrieden und er wollte immer nur mehr und mehr und mehr. Mehr Gegenstände, mehr Kutschen, mehr Schiffe, mehr Geld und mehr Geld und mehr Geld.
Schließlich schien die letzte Synapse in seinem Hirn durchgebrannt zu sein. Er ließ sich bei der Bank sein komplettes Vermögen auszahlen und lud Kiste um Kiste alles auf eines seiner größten Schiffe. Dann hauste er zwei Wochen lang auf diesem Schiff, während es im Hafen ankerte.
Natürlich hat dies zahlreiche Diebe und Scharlatane angelockt, die entweder versucht hatten, ihm das Geld unter dem Hintern weg stehlen oder versucht hatten ihn zu überreden, in irgendwelche dubiosen Unternehmungen zu investieren. Doch niemand von ihnen hatte Erfolg. Das Schiff war gut bewacht und die Crew bestand aus loyalen Männern, die halt eben glaubten, wenn sie nur hart genug für De Hory arbeiteten, würden sie früher oder später es selbst zu Reichtum kommen.
In der Nacht des Vollmondes, so erzählte man sich später, hätte man durch alle Gassen der Stadt das Geheule eines Wolfes gehört, kurz bevor plötzlich sämtliche Schiffe der De Hory Flotte in Flammen standen. Noch in der Nacht brannten beinahe alle seine Schiff bis auf den Grund nieder. Nur ein Schiff fehlte. Das Schiff auf dem er all sein Geld geladen hatte.
Man erzählte sich, dass De Hory in dieser Nacht endgültig den Verstand verloren haben musste. Er lief von Schiff zu Schiff und entzündete auf dem Hauptdeck mit Schwarzpulver jedes einzelnen seiner Schiffe, bevor er zu seinem Geldtransporter zurückkehrte und mit ihm den Hafen verließ.
Wohin De Hory entkommen war, wusste niemand genau. Er hinterließ keine Hinweise. Nur einen Haufen Asche und einen Haufen desillusionierter Seemänner.
Es wurde beinahe zum Volkssport, in den Tagen darauf, herauszufinden, wohin De Hory abgehauen war. Niemand hörte jemals wieder etwas von ihm. Kein anderer Hafen hat ihn je beherbergt. Ein Schiff von dieser Größe hätte niemals einfach so verschwinden können. Es war schließlich Gold verziert und auf dem schwarzen Oberdeck war in großen roten Buchstaben sein Name “De Hory” sehr präsent zu sehen. 
Alle waren sich einig: Das Schiff musste untergegangen sein. In der Nacht, als er floh, gab es weiter draußen einen großen Sturm. Einige andere Seefahrer gaben an in der Nacht ein großes, brennendes Schiff in eine riesige Welle fahren gesehen zu haben. De Hory hätte sein Schiff angezündet und wollte es einem Meeresgott opfern. 
Andere erzählten es war eine Meerjungfrau, die ihn verführt hatte. Er hatte genug Geld, um sich eine kaufen zu können. Er hätte sie in seinem Haus in einem Wassertank gehalten. Das hätte ihr aber nicht gefallen. Sie hätte ihn verzaubert und deswegen hätte er nach und nach den Verstand verloren.
Und wieder andere behaupteten, das Geheule des Wolfes in den Gassen, wäre De Hory gewesen, der sich bei Vollmond in ein Monster verwandelt hätte.
Wie viel davon wohl der Wahrheit entsprach? Niemand wusste es genau. Und nach zehn Jahren, spinnte jeder Erzähler den Seemannsgarn über De Horys Wahnsinn weiter und weiter, sodass niemand mehr die Wahrheit kennen konnte. 
Niemand außer mir.
Ihr müsst wissen, mein Vater war der wundervollste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte, dabei hatte er so viel durchmachen müssen. 
Meine Mutter starb zu früh, nachdem sie an einem Fieber erkrankt war. Ich war gerade einmal vier Jahre alt und verstand gar nicht so richtig, was um mich herum passierte. Ohne meinen Vater hätte ich diese Zeit niemals überlebt. Ich bin mir aber auch sicher, dass es für ihn anders herum genauso war. Wir gaben einander Halt in dieser schweren Zeit. Fortan musste er mich immer mitnehmen, wenn er zur See fuhr, um seiner Arbeit als Fischer nachzugehen. 
Heute würde ich sagen, dass dies ein großes Geschenk war. Ich konnte meinem Vater dabei zu sehen, wie er das tat, was er am besten konnte. Er stand noch im Saft seiner Jugend. Er war ebenfalls Anfang 20, als ihn diese Situation ereilte und lehrte mir alles, was ein Seemann über das Meer wissen musste. Aber natürlich wusste ich durch den Verlust meiner Mutter, dass es nicht immer so sein würde.
Acht Jahre später, ich war gerade zwölf Jahre alt geworden, stand erneut eine Veränderung in meinem Leben bevor. Es zeichnete sich bereits an Land ein Sturm ab. Ich sagte meinem Vater, wir sollten nicht hinaus auf das Meer fahren. Ich weigerte mich sogar das Schiff zu betreten, aber mein Vater bestand darauf. 
Das Geld war knapp und wie ich später erfuhr, hatte mein Vater einen ganzen Haufen Schulden. Er brauchte Beute, um sie schnell verkaufen zu können. Es war noch Vormittag und er würde noch heute Abend auf dem Nachtmarkt etwas verkaufen müssen, um eine Rate seiner Schulden bezahlen zu können. 
Von all dem wusste ich nichts. Ich baute mich vor meinem Vater auf und erklärte ihm, dass er Unrecht hatte und dass dies Wahnsinn sei. Er verließ den Anleger an unserem kleinen Haus direkt am Meer an diesem Vormittag alleine. Ich machte es mir drinnen gemütlich. Um ehrlich zu sein, gefiel es mir ganz gut, mal alleine zu sein und in meiner Wut auf das verantwortungslose Verhalten meines Vaters, fand ich es ganz in Ordnung zurück zu bleiben, zu faulenzen und meinem Vater sogar die letzte Flasche Rum aus seinem Versteck zu entwenden.
An diesem Tag erreichte unser Schiff den Strand etwa einen Kilometer von unserem Haus entfernt. Durch einen lauten Schlag wurde ich aus meinem alkoholisierten Nickerchen geholt. Ich öffnete die Tür nach draußen und der Himmel ergoss sich über mich. Der Wind pfiff mir meinen Hut vom Kopf und trug ihn hinauf aufs Meer, wo er von den gierigen Wellen gefressen wurde. Dann sah ich unser Schiff und ich rannte und rannte. Ich durchsuchte ich es immer und immer wieder. Mein Vater war nirgendwo zu sehen. Ich rannte den Strand auf und ab. Ich rannte in die Brandung und schrie nach meinem Vater.
Niemand antwortete. 
Die Wellen holten mich von meinen Beinen, zogen mich in die dunklen Tiefen und spuckten mich wieder auf den Strand. Es vergingen Stunden, in denen ich es immer wieder versuchte. 
Als der Sturm sich legte war es bereits der nächste Tag. Ich hatte kein Auge zu getan und fuhr direkt bei Dämmerung hinaus auf das Meer. Vielleicht hatte er sich ja irgendwo retten können. Er war von Bord geworfen worden. Vielleicht hatte er sich an einem Treibholz halten können. Vielleicht hatte ihn jemand gerettet. 
Ich wollte, nein, ich konnte die Realität nicht akzeptieren. Ich wollte meinen Vater nicht aufgeben, aber tief in meinem Herzen wusste ich bereits, dass er nicht mehr auf dieser Welt weilte.
Ich verbrachte den gesamten Tag auf der See. Aber ich fand nichts. Solange, bis ich über einen schwarzen Schatten schipperte. Ich ging an die Reling und schaute herunter in das ruhige, kristallklare Wasser. Dort sah ich den Schriftzug “De Hory” in roter Schrift von dem schwarzen Deck eines gold verzierten Schiffes durchscheinen.
Ich war noch ein Junge und war das erste Mal alleine auf hoher See. Mein Herz war schwer und trauerte um meinen Vater. Es war mir unmöglich in diesem Moment zu deuten, was ich dort sah. Ich kannte den Namen De Hory nicht und wusste nichts damit anzufangen. Für mich war in diesem Moment der Kapitän dieses Schiffes nur eine weitere arme Seele, die wie mein Vater ihr Leben in diesem furchtbaren Sturm gelassen hatte.
Als ich zurück an den Anleger kehrte, versank ich in meiner tiefen Trauer. Ich vergrub mich in meinem Elternhaus und umgab mich mit dem wenigen, was mir von meinen Eltern noch geblieben war. Erst als ein paar Tage später eine Gruppe von Männern auftauchten, öffnete ich die Haustür wieder. Wenn auch nicht gewollt. Es waren Schuldeneintreiber, die meinen Vater sprechen wollten. Ich erklärte ihnen, dass mein Vater nicht vom Meer zurückgekehrt sei. Das gefiel ihnen gar nicht. Der Anführer der Gruppe erschien mir zunächst ganz nett. Er tröstete mich sogar ein wenig, aber später realisierte ich, dass er dies nur tat, um mir später einfacher alles wegnehmen zu können.
Sie ließen mir Kleider, etwas Geld und zu Essen, aber nahmen mir mein Schiff. Ich war fortan nicht nur ein Waise, sondern auch noch ein Fischer ohne Schiff. Es grenzte also an ein Wunder, dass ich es später, mit Anfang 20 überhaupt in dieses Wirtshaus geschafft hatte. Genau an diesen Platz dort hinten an der Theke, an dem ich zum ersten Mal die Geschichte von De Hory hörte.
Ich organisierte mir ein Schiff und kehrte damit zu meinem Ursprung zurück. Mein Elternhaus war mittlerweile nicht mehr als eine Ruine, nur der kleine Anleger schien noch intakt. Doch das Schiff mit dem wir gekommen waren, war viel zu groß, um in diesem seichten Wasser zu ankern. Eine kleine Crew von Freunden hatte ich angeheuert. Menschen, denen ich vertraute und auf die ich mich verlassen konnte. Ich erinnerte mich noch genau an den Ort, an dem sich De Horys Schiff befand. Wir brauchten beinahe eine ganze Woche, um seine gesamten Schätze zu bergen. 
Aber es lohnte sich.
Mit dem Reichtum, den De Hory uns hinterlassen hatte, konnten alle neun Seemänner in unserer Crew ein ganzes Leben bequem bestreiten. Das hieß, dass ich bereits mit Anfang 20 keinen einzigen Tag mehr in meinem Leben arbeiten musste. Statt weiter zur See zu fahren, um Geld zu verdienen und hart für Andere zu arbeiten, entschieden wir uns für uns selbst zur See zu fahren und unser Leben zu genießen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass mein Erfolg größtenteils auf das Scheitern De Horys zurückzuführen ist. Aber ich finde viel mehr als De Hory, verdanke ich mein Leben vor allem Emil und seinen Leidensgenossen. Ohne sie, wäre ich nicht da, wo ich heute bin und obwohl es ihm nie selbst persönlich bedanken konnte, wollte ich ihm wenigstens symbolisch danken. Deswegen lege ich jeden Monat sechs Taler auf seinen Grabstein. Es ist zwar nicht viel und wiegt sein Leben in keinster Weise in Geld auf, aber es ist trotzdem immerhin das Doppelte von dem, was De Hory ihm gezahlt hatte.
Akeem
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

19.07.21 13:55
Ihr habt abgestimmt und so sieht das Ergebnis aus:


  1. De Hory von @Akeem mit 3 Stimmen
  2. The Hidden Truth von @Akunda Maou mit einer Stimme


Vielen Dank an den Teilnehmer und alle die sich die Zeit genommen haben, die Geschichten zu lesen. Das Review zu The Hidden Truth füge ich gleich an (gerne auch sonst noch Feedback geben).
Abzeichen werden demnächst nachgepflegt. 

Neuer Wettbewerb? Wie sieht es bei euch mit Lust aus? Wenn ja: Welches Thema?
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

19.07.21 13:56
Review zu The Hidden Truth:

Diese Geschichte ist eine Abrechnung des Protagonisten mit dem Leben an sich. Als Video hat er seine letzten Momente aufgenommen und hinterlässt sie jenen Personen, die es vielleicht mal finden werden. Auf dem Band erzählt erläutert er, wieso er sich umbringen möchte und hangelt sich dabei an einer Liste von großen Lügen in seinem Leben entlang.
Inhaltlich ist so eine Geschichte natürlich sehr schwer zu kommentieren, da es so brisant ist und durch die Perspektive nicht ganz klar ist, wo Fiktion aufhört und die Meinung des Autors anfängt. Jede*r Verfasser*in eines Werkes bringt etwas von sich selbst in seine*ihre Arbeit. Ich finde es an dieser Stelle vermessen zu bewerten, ob dies so “realistisch” ist oder nicht. Da der Autor es jedoch so geschrieben hat, kann man davon ausgehen, dass zumindest er mit solchen Gedanken zumindest auf einer abstrakten Ebene spielen kann. Es liest sich für mich sehr glaubwürdig. Für einige macht die Argumentation des Protagonisten vielleicht nicht hundertprozentig Sinn, aber das muss es in meinen Augen auch nicht, schließlich geht es um die Gedanken eines kranken Geistes, der im Begriff ist, sich selbst zu zerstören.
Die Fragen, die für mich am Ende jedoch bleiben sind: Was hätte man tun können? Die Geschichte bietet keine Antwort auf diese Frage, aber vermutlich ist das auch gerade der Punkt. Wenn jemand schon so weit ist, wie der Protagonist, dann kann ihn vermutlich niemand mehr retten.
So viel möchte ich nur zum Inhalt sagen. Den Rest des Reviews möchte ich stattdessen lieber über Storytelling sprechen.


Die Geschichte verwendet ein Abschiedsvideo als Framing Device (zu deutsch: Rahmenhandlung). Es beginnt und endet mit zwei kurzen Sätzen in Sternchen, die suggerieren, dass hier ein Video von jemanden an und abgeschaltet werden. 
Zunächst möchte ich kurz dazu ein paar Worte verlieren: Ich weiß, dies ist für Autor*innen, die zuvor hauptsächlich RPG geschrieben haben, durchaus üblich, Handlungen in Sternchen zu packen. Auch in Chats oder in Foren-Beiträgen sehen wir das immer wieder und die meisten Leser*innen werden wissen, was es bedeutet. Trotzdem ist dies in Prosa meines Wissens nach sehr unüblich und ich würde empfehlen es in Zukunft eher zu umgehen, zumal die meisten Sätze darin auch einfach in normale Sätze umgewandelt werden könnten. Ich weiß, dass dies vermutlich von einigen als Nitpicking gesehen wird und vielleicht habt ihr auch recht: Sprache ändert sich, sowohl gesprochen als auch geschrieben. In unseren Kreisen werden es vermutlich alle verstanden haben und der Autor wusste, welches Zielpublikum hier erreicht wird, also ist die Sprache entsprechend adressatengerecht. Dennoch hat es mich etwas gestört.
Das Framing Device ist also das Abspielen dieses Videos. Wir erfahren nicht, wer es abspielt, dennoch wird so suggeriert, dass es irgendwann abgespielt wird. Allerdings ist es dort auch nicht ganz klar. Es könnte auch sein, dass die voran- und nachgestellten Sätze suggerieren sollen, dass lediglich die Aufnahme des Videos gestartet ist. Für mich war dies leider nicht ganz klar.
Nachdem das Video läuft, wechselt die Perspektive von der Rahmenhandlung direkt in eine Ich-Perspektive des Protagonisten. Zunächst war ich auch hier etwas verwirrt. Ich war davon ausgegangen, dass ich das Video nun sehen würde, aber der Text wird direkt aus der Perspektive des Protagonisten erläutert und nicht aus der mehr distanzierten Perspektive des Videos. 
Die Geschichte beginnt mit einer Beschreibung seiner Situation durch den Protagonisten direkt an den Leser. Da ich zunächst weiterhin glaubte, mich in der distanzierten Perspektive des Videos zu befinden, nahm ich an, dass der Protagonist mir auf dem Video nun alles, was er beschrieb, direkt in die Kamera schilderte. Aber nach ein paar Sätze wusste ich, dass dies nicht der Fall sein konnte.
So entstand für mich eine seltsame Diskrepanz.
Das Framing Device hat mir eine Art der Erzählung versprochen, die jedoch nicht eingehalten wurde. So wurde ich als Leser innerhalb weniger Sätze bereits etwas verwirrt. Danach liest sich die Geschichte recht flüssig, aber diese Diskrepanz kehrt am Ende der Geschichte, wenn das Video beendet wird, wieder zurück.
Meiner Meinung nach funktioniert daher diese Art des Storytellings nicht so richtig. Man hätte hier entweder auf das Framing Device (das Video) verzichten sollen oder hätte die Art der Erzählung dem Device anpassen sollen.
Um dies besser zu erklären, ändere ich mal kurz die Form des Abschiedsvideos in einen Abschiedsbrief. Das Framing Device der Geschichte wird dann jemand, der diesen Abschiedsbrief liest. Die Rahmenhandlung (und Meta-Handlung) wird dann für den Leser, dass er den Abschiedsbrief des Protagonisten liest. Die Erzählung erfolgt dann hier in erster Person, weil der Verfasser des Briefes (der Protagonist), den Leser des Briefes (den Leser der Geschichte) direkt adressiert und ihm seine Geschichte darlegt.
Im Falle des Videos müsste es also so sein, dass ich als Leser der Geschichte derjenige bin, der das Video anschaut. Ein Video ist jedoch eine komplett anderes Medium. Der Brief ist leichter als Framing Device an den Leser zu übertragen, weil es im gleichen Medium bleibt. Wenn im Video jedoch die Perspektive, nachdem das Video gestartet ist, zu einem Ich-Erzähler wird, der mir die Umgebung beschreibt, denke ich als Leser zunächst, dass ich der Ich-Erzähler der Geschichte die Perspektive desjenigen erläutert, der das Video schaut. Das schauen eines Videos und das Lesen eines Briefes sind andere Erfahrungen.
Meiner Meinung nach hätte deswegen in dieser Geschichte der Ich-Erzähler entweder derjenige sein müssen, der das Video schaut oder man hätte einen Erzähler aus der dritten Person wählen sollen, der weiter vom Geschehen weg ist und dem Leser den Inhalt des Videos distanzierter erklären kann.

So wie es ist jedoch, entsteht für mich die beschriebene Diskrepanz und damit in den ersten Sätzen der Erzählung einiges an Verwirrung.
Akeem
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

21.07.21 9:23
Habt ihr derzeit noch Lust auf Wettbewerb?
Welches Thema fändet ihr cool?
Ansonsten würde ich eine Sommerpause bis September vorschlagen. Oder wir machen bis dahin eine "freie Themen" Wahl oder so.
Akunda Maou
Akunda Maou
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

29.07.21 20:42
Also ich wäre weiter dabei :D
Vielleicht ist das mit offenem Thema ne gute Idee. So könnte sich jeder einfach Mal komplett austoben ohne an einen „Rahmen“ gebunden zu sein :)
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Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge Empty Re: Kurzgeschichten-Wettbewerb - Lüge

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